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Politik: Der Euro ist stark wie nie

Kurs zum ersten Mal bei 1,20 Dollar / Ökonomen sehen Export bedroht und dadurch den Aufschwung in Gefahr

Berlin. Der Euro ist am Freitag auf den höchsten Stand seit Einführung der Gemeinschaftswährung im Januar 1999 gestiegen. Am Nachmittag übersprang der Kurs erstmals die Marke von 1,20 Dollar. Volkswirte begründeten dies mit der Skepsis der Finanzmärkte über die Solidität des Aufschwungs in den USA. Zudem warnten sie, der starke Euro könne die Erholung der deutschen Wirtschaft gefährden und exportorientierten Firmen schaden. Die Bundesregierung teilt diese Bedenken nicht, kündigte aber eine genaue Beobachtung der Wechselkurse an. Die Börse reagierte mit Kursschwankungen. Der Dax stieg leicht auf 3745 Punkte.

Von Carsten Brönstrup

und Henrik Mortsiefer

Nach Einschätzung von Devisenhändlern kam der Kursanstieg auf bis zu 1,2019 Dollar nicht überraschend. Der Aufwärtstrend habe sich seit längerem abgezeichnet. Erklärt wurde dies unter anderem mit dem mangelnden Vertrauen in den Aufschwung in den USA. Hohe Defizite im Staatshaushalt und in der Leistungsbilanz sowie die anhaltende Terrorangst schwächten den Dollar. Stefan Schilbe, Chefvolkswirt der Bank HSBC Trinkaus & Burkhardt, machte zudem die Sorge vor zunehmendem Protektionismus, der den Welthandel gefährde, für den Dollar-Verfall verantwortlich. Außerdem fließe immer weniger Anlegerkapital in die USA. Händler verwiesen am Freitag allerdings einschränkend auf die geringen Umsätze am Devisenmarkt nach dem amerikanischen Thanksgiving-Feiertag. „Die Gelegenheit war gut, das Potenzial des Euro mal auszutesten“, hieß es. Am Mittag hatte die Europäische Zentralbank (EZB) den Referenzkurs des Euro bei 1,1994 Dollar nach 1,1902 Dollar am Vortag festgelegt. Bei einem Kurs von 1,20 Dollar ist die US-Währung für die Deutschen nach alter D-Mark-Rechnung derzeit etwa so günstig wie seit Herbst 1998 nicht mehr. Der Wert entspricht zugleich dem langjährigen Durchschnittsverhältnis der D-Mark zum Dollar in den 90er Jahren.

Betroffen von einem steigenden Euro ist vor allem die starke deutsche Exportindustrie. Produkte aus Deutschland verkaufen sich in den USA schlechter, die Gewinne der Unternehmen sinken. Die optimistischen Prognosen für das Exportwachstum seien „ein Stück weit unsicherer geworden“, sagte der Präsident des Bundesverbandes des Groß- und Außenhandels, Anton Börner. Die Bundesregierung müsse sich „heftig Gedanken machen“, ob ihre Wachstumserwartung für 2004 realistisch sei. „Der Euro bedroht die Triebfeder des Aufschwungs“, warnte der Würzburger Finanzwissenschaftler Peter Bofinger. Da auch die Binnennachfrage schwach bleibe, sei die Wachstumsdynamik der deutschen Wirtschaft in Gefahr. Das Bundeswirtschaftsministerium sah indes noch „keinen Anlass zur Besorgnis“. Vor einer Dramatisierung des Euro-Anstiegs warnte Michael Hüther, Chefvolkswirt der Deka-Bank. „Für die Wirtschaft ist das jetzt noch kein Problem.“ Der Höhenflug werde nicht lange andauern. „Die USA haben kein Interesse an einem übermäßig schwachen Dollar.“ Sorgen bereite eher die Einigung der Euro-Finanzminister auf eine Aussetzung des Defizitverfahrens gegen Deutschland. Dies erhöhe den Druck auf die Europäische Zentralbank, die Zinsen im kommenden Jahr zu erhöhen.

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