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Politik: „Der europäische Weg ist ein frommer Wunsch“

Kriegsverhinderung hat nicht oberste Priorität, sagt der Regierungsberater Christoph Bertram: Wichtigeres steht auf dem Spiel

Wie steht es um das Ansehen der deutschen Außenpolitik?

Nicht gut, aber der Streit über die Ursachen führt nicht weiter. Amerikas Politik, alle Verbündeten in einen Krieg gegen den Irak zu treiben, ist keine Basis für Gemeinsamkeit und droht das Bündnis zu zerbrechen. Das gilt umgekehrt auch für die deutsche Festlegung. Jetzt geht es darum, aus einer Position herauszukommen, die gefährdet, was in 50 Jahren aufgebaut wurde und für Deutschland am wichtigsten ist: europäische Integration und transatlantische Gemeinschaft.

Wie kann die Regierung beides retten?

Europa muss Handlungsfähigkeit beweisen. Alle müssen nationale Eitelkeiten zurückstellen, egal ob sie für oder gegen den Krieg sind, und zeigen: Es gibt eine europäische Politik und Zusammenhalt mit Amerika. Drei Beispiele : Die Gefahr von Terroranschlägen wächst. Wo ist das Angebot der Europäer, die Abwehr besser zu koordinieren, untereinander und mit Amerika? Zweitens: Wie auch immer sich die Lage im Irak entwickelt, die Belastungen für die Nachbarstaaten steigen. Wie hilft Europa, sie zu stabilisieren? Und was, wenn eine Flüchtlingsflut Jordanien bedroht oder die Türkei – wie Mazedonien das im Kosovokrieg erlebte? Drittens: Wie lassen sich die negativen Folgen für Israel und Palästina eindämmen? Und wie ein stabiles Nachkriegsregime vorbereiten, das ein UNRegime sein muss, weil es mehr Legitimität hätte als ein US-Vizekönig in Bagdad.

Ist es jetzt wichtiger, Europas Einheit zu erhalten, als einen Irak-Krieg zu verhindern?

Ja, auch wenn ich das mit Bauchgrimmen sage. Ich halte den Krieg für nicht sinnvoll und seine Gefahren für erheblich. Aber die gegenwärtigen Gefahren für die Grundfesten der deutschen Außen- und Sicherheitspolitik sind noch größer. Bei der Wahl zwischen zwei Übeln muss Deutschland sich für seine Bündnisse in Europa und mit Amerika entscheiden.

Wie belastbar ist die neue Koalition mit Frankreich, Russland und China gegen die USA?

Das ist keine dauerhafte Allianz, Deutschland kann nicht auf sie bauen, wenn der Irak nicht kooperiert. Für China, Russland und Frankreich ist das Verhältnis zu Amerika wichtiger. Aber diese Ad-hoc-Übereinstimmung ist momentan nützlich für das Ziel, mehr Zeit für die Inspekteure zu erreichen. Wenn Chefinspekteur Hans Blix sagt, er komme voran, und die USA dennoch losschlagen, wäre das die schwerste Krise im transatlantischen Verhältnis. Wenn Blix aber sagt, wir kommen nicht weiter, werden China, Russland und Frankreich nicht gegen Gewalt stimmen. Dann ist Krieg zwar immer noch nicht sinnvoll. Aber die UN behielten ihre Autorität, und Amerika und Europa drifteten nicht gänzlich auseinander.

Und die Risiken eines Krieges?

Die sind für den Nahen und Mittleren Osten die gleichen, egal ob alle Europäer oder nur einige die USA unterstützen. Aber für Europa macht es einen Unterschied, es kann sich nicht gegen Amerika integrieren. Wenn der Irak Europa spaltet, ist die Integration bedroht. Dann wird es die Nato so nicht mehr geben. Die USA suchen sich ihre Bündnisse dann zusammen: Mini-Natos je nach Fall.

War es also falsch zu sagen: Wir brauchen eine handlungsfähige EU als Gegengewicht zu Amerika?

Nein, aber die europäischen Regierungen haben weder danach gehandelt, noch die nötigen Mittel dafür bereitgestellt. Ein schwaches Europa kann die Rolle nicht spielen. Europa bleibt auf die USA angewiesen. Ein eigener europäischer Weg ist ein frommer Wunsch. Deshalb müssen wir manchmal selbst eine amerikanische Politik, die wir für falsch halten, unterstützen, um sie im eigenen Interesse etwas zurückzubiegen.

Das Interview führte Christoph von Marschall.

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