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Politik: Der Faktor Mensch

Von Gerd Appenzeller

Berlin wird einen neuen Flughafen bekommen, das wissen wir seit März, seit dem Urteilsspruch des Bundesverwaltungsgerichtes in Leipzig. Seit wenigen Tagen kennen wir das Urteil genau, und nachdem Juristen die 267 Seiten durchgearbeitet haben, sind die Manager der Luftfahrtgesellschaften entspannter. Zumindest jene Airlines, für die Berlin Heimatflughafen ist und die ihre Maschinen hier warten lassen, werden in allen begründeten und nicht nur in Ausnahmefällen in Schönefeld bis 24 Uhr landen und ab fünf Uhr früh starten können. Während die Wirtschaft über diesen Aspekt des Urteils verhalten jubelt, wird über einen anderen kaum gesprochen. Der aber ist für viele hunderttausend Berlinerinnen und Berliner vorrangig. Es geht um die Lärmbelästigung und den Schutz vor ihr.

Die obersten Verwaltungsrichter haben den Planern in ungeschminkter Deutlichkeit vorgehalten, dass sie die zu erwartenden Belästigungen im Umfeld des neuen Flughafens BBI, Berlin-Brandenburg-International, schön gerechnet haben. Das Lärmschutzkonzept sei unausgewogen, sagen sie, und: „Es beruht auf einer Überbewertung der für und einer Unterbewertung der gegen die Planung sprechenden Gesichtspunkte.“ Die Leipziger Juristen listen sorgfältig die Start- und Landebeschränkungen in Deutschland und auf den wichtigsten europäischen Luftdrehkreuzen auf und kommen zu einem für die Flughafenbetreiber ernüchternden Schluss: Der Luftverkehr lässt sich ohne existenzgefährdende Einbußen außerhalb der Kernzeit der Nacht abwickeln. Wenn BBI gebaut wird, dann nur mit einem absoluten Flugverbot, von Notsituationen abgesehen, zwischen Mitternacht und fünf Uhr in der Frühe.

Für das Gericht rechtfertigt sich die planerische Konzentration auf Schönefeld aus drei Gründen: Das bisherige Flughafensystem kann das zu erwartende Verkehrsaufkommen nicht mehr bewältigen; die Schließung von Tegel und Tempelhof reduziert, zweitens, die Umweltbelastungen und sie verringert, drittens, die Sicherheitsrisiken an den beiden innerstädtischen Standorten. Jeder dieser drei Gründe für sich allein würde nach Meinung der Richter schon die Konzentration auf den künftigen Standort in Schönefeld, eine Stadtrandlage, rechtfertigen. Mehr noch: Der Ausbau von Schönefeld wäre planerisch nicht gerechtfertigt, wenn Tempelhof und Tegel weiter betrieben würden. Ausbau des einen und Schließung der beiden anderen Flughäfen „bedingen einander und sind untrennbar miteinander verbunden“, heißt es wörtlich. Eine Sechsmonatsfrist für Umzug und Probebetrieb müsse reichen.

Diese Festschreibungen sind wichtig im Hinblick auf das so genannte Y-Konzept, mit dem Planer um den Projektentwickler Reinhard Müller den neuen Flughafen um mehr als eine Milliarde billiger bauen möchten. Sie wollen BBI schon im Jahre 2008 auf einer niedrigen Ausbaustufe in Betrieb nehmen und dann stufenweise erweitern, bis Tegel 2020 endgültig geschlossen werden kann. Nach der höchstrichterlichen Festlegung auf die zeitliche Abfolge und den Zusammenhang zwischen der Öffnung des einen und der Schließung der anderen Flughäfen scheint das nicht mehr realisierbar.

Diese Klarstellung wird vor allem die Anwohner rund um Tegel und Tempelhof zufrieden stellen – nicht nur im Hinblick auf die ungestörte Nachtruhe, sondern auch wegen der Angst vor Abstürzen. Flughäfen mitten in der Stadt waren in den Jahren der Teilung unvermeidbar. Heute zählt der Faktor Mensch.

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