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Die Verteidigung konnte keine zwingenden Beweise vorlegen, die eine Freilassung von Strauss-Kahn gegen Kaution ermöglicht hätten.

© dpa

Der Fall Strauss-Kahn: Auf der Suche nach der Wahrheit

Vergewaltigung, hieß der erste Vorwurf. Dann sexuelle Nötigung. Schließlich tauchte sogar ein Alibi auf. Der Fall Dominique Strauss-Kahn verwirrt und beschäftigt die Welt. Ein gefundenes Fressen - nicht nur für politische Gegner.

Die Herren zu seiner Linken und zur Rechten halten ihn an den Armen, sie tragen dunkle Anzüge und bunte Krawatten, sein blaues Hemd unter dem dunklen Mantel ist am Kragen geöffnet. Finster blickt der weißhaarige Mann auf, blinzelt in blinkendes Blaulicht. Es ist düster in New York, als ein Kamerateam die Szenen filmt, die der Nachrichtensender CNN später ins Internet stellt. Sonntagabend, im Hintergrund hell jaulend eine Polizeisirene, die beiden Anzugträger öffnen die Türen einer schwarzen Limousine, der weißhaarige Mann steigt ein.

Die Nacht zu Sonntag hat Dominique Strauss-Kahn in der Zelle eines Polizeireviers in Harlem, New York, verbracht, er, Chef des Internationalen Währungsfonds (IWF), unter Verdacht, am Samstagmittag ein Zimmermädchen vergewaltigt zu haben.

Auch zwei Tage später ist der Franzose schwer belastet. Am Kernvorwurf hat sich nichts geändert. Die Frage ist freilich, ob es um sexuelle Belästigung oder Vergewaltigung geht. Strafrechtlich macht das einen großen Unterschied.

Am Samstag gegen 12 Uhr mittags New Yorker Zeit klopft die Putzfrau an die Tür von Suite 2806 im Sofitel, einem Luxushotel in der 44. Straße, anderthalb Blocks vom Times Square entfernt, um dort aufzuräumen. Sie ist 32 Jahre alt, stammt aus Guinea und ist Mutter von zwei Kindern. Sie habe geglaubt, die Suite sei leer, sagen die Ermittler, weil auf ihren Ruf „Housekeeping“ niemand geantwortet habe. Die Suite besteht aus mehreren Räumen: Arbeitszimmer, Schlafzimmer, Badezimmer, die durch einen internen Korridor verbunden sind. Laut den Ermittlern kam Strauss-Kahn nackt aus dem Badezimmer, näherte sich der Putzfrau von hinten und fasste an ihre Brust.

Die Darstellung in US-Medien, was danach passierte, hat sich seit Samstag in den Details beträchtlich verändert. Vor allem die Schilderung der von Strauss-Kahn angeblich ausgeübten Gewalt hat sich gemildert. Die Medien berufen sich auf Informationen der Ermittler. Und diese Ermittler, das zeigt sich in amerikanischen Straffällen immer wieder, sind nicht neutrale Prüfer, die gleichermaßen nach entlastenden und belastenden Indizien suchen, um die Wahrheit herauszufinden. Sondern sie verhalten sich wie Staatsanwälte, die eine möglichst umfangreiche Liste von Anklagepunkten erstellen wollen – im Wissen, dass sie einige davon wieder fallen lassen müssen. Parallel betreiben sie eine meist sehr einseitige Medienarbeit, um ihren Fall möglichst eindeutig aussehen zu lassen.

Anfangs hieß es, Strauss-Kahn habe die junge Frau auf das Bett geworfen, sich auf sie gelegt und versucht, ihr die Kleidung vom Leib zu reißen. Von Kämpfen war die Rede, aus denen sie sich immer nur kurz befreien konnte, und von wiederholten Angriffen in verschiedenen Räumen der Suite. Er habe eine Tür verriegelt, um sie an der Flucht zu hindern – was zum zusätzlichen Anklagepunkt der Freiheitsberaubung führte. Nach den ersten Berichten musste man den Eindruck haben, Strauss-Kahn habe mit Gewalt Geschlechtsverkehr erzwungen. Am Montag war von versuchtem Oralverkehr die Rede. Und es war unklar, ob es dazu gekommen war. Sie habe sich schließlich befreien und fliehen können, hieß es am Wochenende – er habe sie gehen lassen, hieß es am Montag.

War es eine Falle? Im Internet kursieren Berichte über ein Komplott

Die ersten Berichte amerikanischer Medien über die Vergewaltigungsvorwürfe gegen den Chef des Internationalen Währungsfonds (IWF) am Samstag klangen wie eine Vorverurteilung. Die Begleitumstände wurden erzählt, als belegten sie den Fluchtversuch eines ertappten Sünders: seine angeblich überstürzte Räumung des Hotelzimmers, sein liegen gelassenes Handy, die Festnahme im startbereiten Flugzeug ins Ausland, zehn Minuten vor Abflug.

Nun stellt sich manches etwas anders dar. Strauss-Kahn verhält sich nicht wie ein nahezu überführter Angeklagter. Er selbst hat die Polizei auf seine Spur gesetzt, als er im Hotel anrief, um sich zu erkundigen, ob er sein Handy in seiner Suite vergessen habe, was er hatte – und ohne jede Geheimnistuerei eine Übergabe am Airport vereinbart. Der Flug nach Europa war keine spontane Flucht, sondern die geplante Reise zum Euro-Krisengipfel. Ohne Strauss-Kahns Anruf im Hotel hätten die Ermittler nicht gewusst, wo sie ihn suchen sollen. Am späten Montagmittag dann kursiert gar das Gerücht, Strauss-Kahn habe ein Alibi: Zur Tatzeit sei er gemeinsam mit seiner Tochter beim Mittagessen gewesen.

Das sorgenvolle Gesicht des Dominique Strauss-Kahn – in Frankreich ist es am Montag allgegenwärtig. Auf allen Zeitungen prangen riesige Porträtfotos des Politikers. Doch die Presse hält sich mit Urteilen zurück. Die französischen Medien gehen nicht so weit, von „Fall“ zu sprechen. Oder von „Absturz“, wie man es in Deutschland liest.

DSK, so nennen sie ihn in Frankreich. Dominique Strauss-Kahn, 62 Jahre alt, Sohn jüdischer Eltern, geboren in Neuilly-sur-Seine, einem reichen Pariser Vorort. Seinen Hang zum Leben der Reichen und Schönen, der nicht recht zum Image des sozialistischen Politikers passen mochte, bemerkte man in Frankreich wohl, doch vertrauten die Kollegen lieber seiner Erfahrung und seinem Wissen.

Strauss-Kahn, aufgewachsen in der marokkanischen Stadt Agadir und in Monaco, engagierte sich früh in der „Union kommunistischer Studenten“, als späterer Sozialdemokrat legte er sich allerdings öfter mit dem linken Flügel seiner Partei an. Lionel Jospin machte ihn 1997 zum Finanz- und Wirtschaftsminister. Ein Posten, von dem er zurücktrat, als ihm Korruption vorgeworfen wurde. Ein Gericht sprach ihn allerdings frei. 2007 wurde er schließlich geschäftsführender Direktor des IWF.

Niemand will zu schnell urteilen in Frankreich, lieber wird analysiert – und spekuliert. Könnte alles, auch das ist eine Frage, vielleicht eine Verschwörung sein? Nicht nur im Internet kursieren bereits Theorien, dass DSK Opfer einer Kampagne geworden sein könnte. Auch in französischen Restaurants und auf den Straßen wird diskutiert. Die sozialistische Politikerin Michèle Sabban sagte, sie sei von einer internationalen Verschwörung überzeugt. „Dies ist eine neue Form eines politischen Attentats.“ Die Zeitung „Le Parisien“ verweist auf die Zimmernummer der teuren Suite, in der Strauss-Kahn nächtigte. 2806! Neue Nahrung für die Verschwörungstheoretiker. Denn die parteiinternen Vorwahlen für den Präsidentschaftswahlkampf in Frankreich finden am 28. Juni statt. Es galt als Strauss-Kahns Ambition, der nächste französische Präsident zu werden. Ein Komplott, angezettelt von Nicolas Sarkozy?

Seine Ehefrau zeigt sich solidarisch

Seine Ehefrau zeigt sich solidarisch: "Ich glaube nicht an die Vorwürfe"

Strauss-Kahn selbst hatte Ende April gegenüber der Tageszeitung „Liberation“ von einer „Verschwörung“ gegen ihn gesprochen. Andererseits hängen ihm auch noch Vorwürfe aus der Vergangenheit an. Erst jetzt wurde bekannt, dass er 2002 angeblich die französische Journalistin und Schriftstellerin Tristane Banone sexuell belästigte. Die 31-Jährige denkt über eine Klage nach. Ihre Mutter soll sie damals davon abgebracht haben. Im Jahr 2008 unterhielt Strauss-Kahn angeblich eine kurze Affäre mit Piroska M. Nagy, einer Mitarbeiterin des IWF. Anne Sinclair, Strauss-Kahns dritte Ehefrau, stellte sich damals wie auch heute solidarisch hinter ihn. „Ich glaube nicht eine Sekunde an die Anschuldigungen gegen ihn. Ich habe keine Zweifel, dass seine Unschuld bewiesen wird“, sagte die Journalistin.

Im Pariser Elyséepalast hingegen herrscht Stille. Niemand will das Ereignis wirklich kommentieren. Doch ist klar: In der französischen Politik wird mit Strauss-Kahn wohl nicht mehr zu rechnen sein. Als unwahrscheinlich gilt, dass er noch als Präsidentschaftskandidat für die Sozialisten antreten wird. Der ehemalige Parteivorsitzende François Hollande macht sich bereits warm.

Nur eine kommt in der französischen Berichterstattung mehr als zu kurz: das Opfer, von dem eine Kollegin aus dem Hotel der Zeitung „New York Daily News“ erzählte, sie sei „gut erzogen“ und „ruhig“. Auch ihre Nachbarn in einem Apartmentgebäude im Stadtteil Bronx beschreiben sie als angenehm. Den vermeintlichen Täter identifizierte die Frau in einer Gegenüberstellung. „Sie ist aufgewühlt, aber okay“, sagen Kollegen.

Was tatsächlich passiert sein kann in der 3000-Dollar-pro-Nacht-Suite, versucht die „Special Victims Unit“ der New Yorker Polizei gerade zu rekonstruieren. So akribisch, dass sogar der zunächst für Sonntagabend angesetzte Gerichtstermin auf Montagnachmittag mitteleuropäischer Zeit verschoben worden war. Strauss-Kahn wird im Zentrum für Verbrechensopfer in Harlem auf Kratzer untersucht, auf Abschürfungen und kleinste DNA–Spuren an seinem Körper, die beweisen können, dass er direkten Kontakt zu der Hotelangestellten hatte.

Von Glanz und Prominenz des IWF-Chefs lassen sich die New Yorker Behörden dabei nicht blenden. Im Gegenteil: Die „New York Post“ berichtet, dass die Polizeibeamten von DSK und seinem prominenten Anwalt Benjamin Brafman – er beriet schon Michael Jackson – alles andere als beeindruckt seien. Während erster Verhandlungen über Kaution und Prozedere am Montagabend ließ man Strauss-Kahn stundenlang auf einer kahlen Holzbank warten, bevor er schließlich wieder zurück in die Zelle musste.

Eine Kaution von einer Million Dollar, die Strauss-Kahn angeboten hatte, lehnte die Staatsanwaltschaft ab. Dass dieser versuchen könnte zu fliehen, hält der Staatsanwalt für Manhattan, Cyrus Vance, für durchaus möglich. Vorsorglich nahm man ihm auch den Reisepass ab. Nun muss Strauss-Kahn bis zum nächsten Termin am Freitag weiter in U-Haft bleiben.

Das Zimmermädchen vom Hotel Sofitel hingegen wird von der Polizei als glaubwürdig eingeschätzt.

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