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Politik: Der FPÖ-Politiker sitzt im Europaparlament und beklagt dort den "lächerlichen Antifaschismus"

Angst etwas falsches zu sagen. Sichrovsky ist zwar von Haider fasziniert, aber deutlich zurückhaltenderMariele Schulze Berndt Gelten die Menschenrechte auch für Österreicher?

Angst etwas falsches zu sagen. Sichrovsky ist zwar von Haider fasziniert, aber deutlich zurückhaltenderMariele Schulze Berndt

Gelten die Menschenrechte auch für Österreicher? - Zwei Drittel seiner zweiminütigen Redezeit in der Menschenrechtsdebatte des Europaparlamentes wendet der FPÖ-Abgeordnete Peter Sichrovsky für diese Frage auf. Etwa 80 Sekunden. Sein eigentliches Thema, die Religionsfreiheit, streift er nur. Stattdessen klagt er über die Diskriminierung, die österreichische Bürger in der EU zu ertragen haben: "Unseren Assistenten haben ihre Französischlehrer den Unterricht aufgekündigt, weil sie keine Nazis unterrichten wollen."

Manche Taxifahrer in Brüssel weigern sich neuerdings, Österreicher zu transportieren. Der österreichische Fremdenverkehrsverband wird von der belgischen Tourismusmesse ausgeschlossen. "Überall in der EU ist ein irrationales Kollektiv des Hasses abrufbar", beklagt sich der kleine Mann in blauem Hemd und dunkelblauer Strickweste, ohne selbst die geringste Aggressivität auszustrahlen. Peter Sichrovsky sieht sich und die Seinen als Opfer der "Sozialdemokraten in Europa, die mit lächerlichem und absurdem Antifaschismus innenpolitisch punkten wollen". Die Parlamentarierkollegen aus den anderen Fraktionen reagieren ungerührt. Kein Applaus. Kein Protest. Der Nächste bitte. Ebenfalls zwei Minuten.

Als Sichrovsky auf der Liste der Freiheitlichen fürs Europaparlament kandidierte, war das Entsetzen zunächst groß. "Ignatz Bubis wollte deshalb die Autorisierung der Biografie, die ich über ihn geschrieben habe, zurückziehen", berichtet Sichrovsky. Vor Gericht kam es zum Vergleich mit dem ehemaligen Präsidenten des Zentralrats der Juden in Deutschland. Die Wiener Israelitische Kultusgemeinde nannte ihn den "Hofjuden Haiders". Inzwischen benutzt Sichrovsky diesen Titel selbst. Der "Hofjude" sei historisch ein hoch angesehener Berater des Herrschers gewesen, argumentiert er. Und genau so verstehe er sich.

Im Europaparlament gehören die fünf FPÖ-Abgeordneten schon seit 1996 nicht mehr zur Liberalen Fraktion, sondern zusammen mit anderen rechtsextremen Gruppen - wie dem französischen Front National und dem belgischen Vlaamse Block - zur Gruppe der non-inscrits, der Nicht-Eingeschriebenen. Politisch sind sie bedeutungslos. Daniel Cohn-Bendit, einer der wenigen profilierten Europa-Parlamentarier, nimmt kein Blatt vor den Mund, wenn es um Sichrovskys Stellung als Vertreter Haiderscher Politik im Europaparlament geht. "Bis zur Regierungsbeteiligung kannte ihn niemand, und auch jetzt spielt er hier keine Rolle", sagt er. Abgeordnete der Konservativen wollen sich keinen Kommentar entlocken lassen. "Ach, Sie meinen den Verrückten", sagt einer aus der Sozialdemokratie.

"Das sind nicht meine Klischees"

Dabei rudern viele, was die Sanktionen gegen Österreich angeht, längst wieder zurück. Als Deutschland seinen zweiten Kandidaten für den IWF-Chefposten, Horst Köhler, im Rat der Finanzminister durchsetzte, sprach Finanzminister Hans Eichel in Anwesenheit seines portugiesischen Kollegen mit dem jungen österreichischen Finanzminister Gasser, um auch dessen Zustimmung zu bekommen. Das war zwar kein eindeutig bilateraler Kontakt, aber auch keine klare Distanzierung von der österreichischen FPÖ in der Regierung. Der Fraktionsvorsitzende der österreichischen Volkspartei (ÖVP) verurteilte kürzlich, dass der österreichische Bundeskanzler Schüssel nach Brüssel reisen musste, um den portugiesischen Ratspräsidenten Guterres zur Vorbereitung des Lissaboner Gipfels zu treffen. Peter Sichrovsky stimmen diese Vorgänge optimistisch. "Sie merken langsam, dass sonst der Zauberlehrlingseffekt eintritt", sagt er. Glaubwürdig könnten die EU-Regierungen den Boykott gegen Österreich ohnehin nicht durchhalten. Schließlich sei Joschka Fischer auch nach Teheran gereist.

Im Gespräch im elften Stock des futuristischen Straßburger Abgeordnetenbüro-Turms ist Sichrovsky auf der Hut. Er befürchtet, etwas Falsches zu sagen. Schließlich wuchs sein Bekanntheitsgrad gerade dadurch, dass er den Vorsitzenden der jüdischen Gemeinde Wiens als "intelligenten Idioten" bezeichnet hatte, der "unglaublich geldgierig" sei. Doch diese Form der Prominenz könnte dem großen Ziel schaden, die FPÖ als normale demokratische Partei im Ausland zu präsentieren. "Die Äußerungen muss ich zurücknehmen", sagt er schnell und erklärt doch wortreich, dass man gerade ihm als Juden keinesfalls verwehren könne, einen anderen Juden geldgierig zu nennen. Ihm könne man nicht vorwerfen, antisemitische Klischees zu bedienen. "Denn das sind nicht meine Klischees."

Sichrovsky will die FPÖ als stabile Regierungspartei mit politischem Unterbau etablieren. Deshalb sei Haiders Rücktritt als Parteivorsitzender nötig gewesen. "Natürlich kann ich die Sorge verstehen, die die EU-Mitgliedstaaten wegen der Erweiterung und der Einwanderung haben." Eine neue Partei, wie die FPÖ, sei zunächst "nur durch die Kritik der Gegner profiliert". Ihre politischen Ziele seien unbekannt. Doch dies werde sich ändern. Die andere europäischen Staaten würden die FPÖ akzeptieren.

Wachsam schweifen seine Augen über den Schreibtisch, seine Hände sammeln einige Papiere ein. Mit verschränkten Armen sitzt Sichrovsky auf seinem Drehstuhl und rutscht immer weiter in die Zimmerecke. Der ehemalige Chemiker, Verfasser von Sachbüchern ("Bittere Pillen", "Gesunde Geschäfte"), Tatort-Drehbuchautor und Journalist berichtet von der Faszination, die Haider ganz persönlich für ihn hat. Er habe ihn mehrfach für den österreichischen "Standard" interviewt. Am meisten beeindrucke ihn dessen "Rücksichtslosigkeit gegen andere und gegen sich selbst". Wenn Haider von etwas überzeugt sei, "schlägt er einen Weg ein, der auch für ihn selbst nicht gut ist". Die Verniedlichung des Nationalsozialismus, die Haider betreibt, hält Sichrovsky für landestypisch. "Der legere Umgang mit dem Nationalsozialismus ist ein in weiten Teilen Österreichs akzeptiertes Verhalten aller Nachkriegspolitiker", sagt er. "Man muss unterscheiden, ob dahinter Überzeugung steht oder nur lockere Provokation."

Bei Haider jedenfalls handele es sich nicht um Überzeugung. Für ihn gehe es um die Schuldlosigkeit der Elterngeneration. Den Bruch, den die Regierungsbeteiligung der FPÖ für den politischen Konsens in der EU bedeutet, bestreitet Sichrovsky. Seine eigene Rolle sei die jedes anderen jüdischen Politikers. "Ignatz Bubis hat einmal gesagt, dass jeder Jude, der in die Politik geht, dort eine Alibifunktion hat. Das gilt auch für mich."

Allein auf europäischer Ebene steht in diesem Jahr so viel an Grundsatzentscheidungen an, dass sie die Koalition zwischen FPÖ und ÖVP mühelos sprengen könnten. Sichrovsky lehnt massiv ab, was viele andere EU-Mitgliedstaaten als unabdingbar für das Funktionieren einer erweiterten EU ansehen: die Einführung der Mehrheitsentscheidung im Europäischen Rat der Regierungschefs. In einer der wichtigsten Streitfragen der EU-Reform vertritt die FPÖ damit eine andere Position als der Kanzler Schüssel.

Doch Sichrovskys politische Pläne gehen längst über diese Koalition hinaus hin zu einem österreichischen Kanzler Haider. Ein Problem für die Europäische Union sieht er darin nicht. "Wenn die EU nicht an Joschka Fischer gescheitert ist, dann wird sie auch nicht an Haider scheitern", sagt er in einem Tonfall aus Trotz und Überlegenheit.

Mariele Schulze Berndt

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