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Politik: Der Frieden, den sie meinen

NOBELPREIS

Von Christoph von Marschall

Verkörpert Schirin Ebadi irgend etwas von dem, was dem Stifter vorschwebte? Alfred Nobel hatte seinen Friedenspreis der Person zugedacht, die „am meisten oder besten für die Verbrüderung der Völker gewirkt hat und für die Abschaffung oder Verminderung der stehenden Heere sowie für die Bildung und Verbreitung von Friedenskongressen“. Das sind Formulierungen von vorvorgestern, sie zeigen das Weltbild vor über hundert Jahren. In vielen der jüngsten Preisträger ließ sich Nobels Denken dennoch leicht wiedererkennen.

USPräsident Jimmy Carter, der Koreaner Kim Dae Jung, die Iren John Hume und David Trimble, Jitzhak Rabin, Schimon Peres und Jassir Arafat – sie waren an bahnbrechenden Friedensabkommen beteiligt. Oder die Anti-Atom-Bewegung Pugwash, die Internationale Kampagne gegen Landminen, auch die Vereinten Nationen – sie haben die Abrüstung vorangetrieben. Und nun Schirin Ebadi, eine iranische Anwältin, die weder Völker noch Heere lenkt, sondern sich für die Rechte von Frauen und Kindern stark macht: Wie passt sie zu Nobels Idee?

Sie ist kein Fehlgriff. Das Komitee hat die Kraft, Nobels Idee zeitgemäß zu interpretieren. Und den Mut, überraschend und unabhängig zu entscheiden. Die Vorstellung, was Frieden ausmacht, hat sich stark gewandelt. Das zeigen neben der Ehrung Schirin Ebadis auch die angeblichen Favoriten in diesem Jahr: Johannes Paul II., der mit den Divisionen des Papstes, und Vaclav Havel, der mit der Macht des Wortes Diktaturen erodieren ließ; oder der brasilianische Staatschef Lula da Silva, der gegen soziale Ungleichheit vorgeht. Frieden ist mehr als die Abwesenheit von Krieg. Auch politische, wirtschaftliche und soziale Sicherheit gehören dazu – und die Freiheit, ein selbst bestimmtes Leben zu führen. Wo Menschen körperlicher, politischer oder religiöser Gewalt ausgeliefert sind, ist kein Frieden. Es kann, im Gegenteil, geradezu friedensstiftend sein, eine Stabilität zu bekämpfen, die sich auf Gewalt und Zwang stützt, auch wenn das zunächst Unfrieden schürt.

Die Entscheidung für Schirin Ebadi ist deshalb auch keine Revolution. Das Preiskomitee bekräftigt eine Tendenz aus den jüngsten Jahren, nicht nur Friedens-, sondern auch Unruhestifter auszuzeichnen. Wie Michail Gorbatschow, der den Freiheitsbewegungen der Menschen in Moskaus Satellitenstaaten mutig Raum gab, statt Stalins Ordnung blutig zu verteidigen. Und zwei mutige Frauen, die in Diktaturen unbeirrt ihren friedlichen Kampf für Menschenrechte und Demokratie führen: Rigoberta Menchu in Guatemala und Aung San Suu Kyi in Burma.

Also auch Schirin Ebadi, die elfte Frau in 103 Jahren und die erste Muslimin, eine gläubige dazu. Es ist dem Komitee „ein Vergnügen“, eine Frau zu ehren, die diesen friedensstiftenden Gedanken verkörpert – dass Islam, Menschenrechte und Demokratie sehr wohl zusammen passen. Für den Iran ist das noch ein weiter Weg. Ein Land, das im März über die Strafrechtsreform debattierte, das Steinigen von Frauen durchs Erhängen zu ersetzen. Aber es war auch ein weiter Weg von Nobels Friedensbegriff zum heutigen. Und für unser Bild der iranischen Vorzeigefrau. In den 60er Jahren schmückte Farah Diba Pahlevi, die Frau des Schahs, die Illustriertentitel. Gestern, an Farah Dibas 65. Geburtstag, gehörten die Fernsehbilder Schirin Ebadi.

Völkerverbrüderung bewirkt sie durch ihr Islambild, ihre Friedenskongresse sind ihre Demokratiebewegung – und wenn Teheran jetzt unter dem Druck der weltweiten Aufmerksamkeit vielleicht sogar noch sein Atomwaffenprogramm überdenkt, käme das einer Verminderung der stehenden Heere gleich. Alfred Nobel hätte seine Freude an ihr.

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