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Politik: Der gläserne DDR-Bürger lebt – noch

Die Birthler-Behörde darf das zentrale Melderegister nur bis Jahresende nutzen

Von Matthias Schlegel

Berlin - Für Datenschützer ist es ein Horror, für die Berliner Stasi-Unterlagenbehörde ein Schatz – das Zentrale Einwohnermelderegister (ZER) der DDR. Weil die datenschutzrechtlichen Vorbehalte so groß waren, wurde vom Gesetzgeber schon vor Jahren veranlasst, dass der Zugriff der Stasi-Unterlagenbehörde auf dieses in ihren Archiven lagernde Datenmonster zeitlich begrenzt bleibt. Ende des Jahres läuft dieses Nutzungsrecht nun endgültig aus, nachdem es bereits zweimal verlängert worden war.

Für die Birthler-Behörde ist das Register ein „wichtiges Recherchehilfsmittel“, sagt Pressesprecher Christian Booß. So zum Beispiel, wenn Personen ausfindig gemacht werden müssen, die laut Stasi-Unterlagengesetz darüber zu informieren sind, dass über sie Akten herausgegeben werden. Das bundesdeutsche Meldewesen sei derartig zersplittert, dass die Information über diesen Weg enorm aufwendig sei, sagt Booß. Im ZER sei der jeweils letzte Wohnort verzeichnet, so dass man auf diese Weise in aller Regel sehr schnell weiterkomme.

Das Leipziger Bürgerkomitee fürchtet nun gar, dass diese Datenbank nicht nur geschlossen, sondern vernichtet werden könnte. Und es verweist darauf, dass damit auch wichtige Stränge der Aufarbeitung gekappt würden. So habe das Ministerium für Staatssicherheit (MfS) zum Zwecke der Legendierung manche hauptamtlichen oder inoffiziellen Mitarbeiter mit falschen Dokumenten und Personalien ausgestattet. Sie erhielten dann in dem zentralen Register auch real existierende Personenkennzahlen (PKZ). Diese Ziffern bildeten seit 1971 sozusagen das statistische Rückgrat der Personendatenerfassung in der DDR. Die Doppelidentitäten der Stasi sind nach Ansicht der Leipziger Bürgerrechtler nur mit Hilfe der ZER-Daten eindeutig aufzuklären.

Als unverzichtbar sehen die Leipziger Bürgerrechtler das Register auch deshalb an, weil darin zeitweilig in der DDR lebende Ausländer erfasst sind. Über sie existierten keine anderen Quellen, so dass diese Informationen „sogar im Bereich der Terrorismusbekämpfung von Bedeutung sein“ könnten. Denn in der DDR hatten sich beispielsweise auch Mitglieder militanter islamischer Gruppen aufgehalten. Auch über die genauen Todesumstände von Menschen, die in der DDR hingerichtet wurden, könne das Register Auskunft geben. Die Stasi verschleierte in der Regel solche Informationen.

Dass die Politik nicht rechtzeitig auf das Ablaufen des ZER-Nutzungsrechts aufmerksam gemacht hat, beklagt Bundestagsabgeordneter Markus Meckel (SPD) selbstkritisch. Das sei vor allem der Hektik durch die vorgezogene Bundestagswahl und dem personellen Wechsel in den parlamentarischen Gremien geschuldet. Nun, so befürchtet Meckel, ist der Zug allerdings abgefahren: Bis Jahresende ist eine Gesetzesnovelle nicht mehr zu stemmen. Was das konkret für die Zukunft des Datenmonsters bedeutet, ist unklar. Denkbar ist, dass es in das Bundesarchiv überführt wird. Vernichtet werde die Kartei auf keinen Fall, versichert der Sprecher der Birthler-Behörde.

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