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Politik: Der Hindukusch ist nebenan

WENN ES AL QAIDA WAR

Von Gerd Appenzeller

Ruhe ist die erste Regierungspflicht angesichts einer nur schwer abschätzbaren Bedrohung – Ruhe und nüchterne Analyse. Deshalb ist die Idee einer Eilkonferenz der Innenminister der Europäischen Union richtig. Die irische Präsidentschaft sollte die Ressortchefs der zehn Beitrittsländer mit dazu einladen, und den der Schweiz ebenfalls. Die hat zwar an der EU kein Interesse, liegt aber so zentral, dass sie in diese Konferenz eingebunden werden muss.

War es die Eta oder war es Al Qaida? Sichere Antworten auf die Frage nach den Hintermännern der Attentate von Madrid haben wir noch nicht. Aber immer mehr spricht für einen islamistischen Hintergrund. Die Bundesregierung ist nicht zu schelten, dass sie zunächst die baskischen Terroristen als Drahtzieher vermutete. Sie verließ sich bei ihrer Einschätzung auf die Angaben der spanischen Regierung. Die aber hat möglicherweise, um den Ausgang der gestrigen Parlamentswahl in ihrem Sinne zu beeinflussen, nicht objektiv informiert.

Wenn die Indikatoren für einen islamistischen Hintergrund der Verbrechen zutreffen, wird das gravierende Folgen für den Alltag in unserem Lande haben. Wir sollten uns nicht damit trösten, dank der klugen Irakpolitik des Bundeskanzlers sei Deutschland kaum gefährdet, während Spanien und Italien wegen ihrer pro-amerikanischen Mittelostpolitik ins Visier von Al Qaida geraten seien. Auch wenn man den Krieg der USA gegen den Irak für falsch hält – die überwiegende Mehrheit der Deutschen ist da mit Gerhard Schröder einig – bleibt Saddam Hussein ein Verbrecher und Deutschland ein Mitglied der westlichen Wertegemeinschaft, die ihrerseits wiederum identisch mit dem Feindbild der Islamisten ist. So lange wir uns nicht selbst aufgeben, werden wir ein Ziel bleiben.

Wer sich aber Verbrechern und deren Helfershelfern in der Hoffnung anbiedert, dann geschehe ihm nichts, erkauft sich eine fragwürdige Sicherheit. Max Frisch hat dazu, wenige Jahre nach dem Zusammenbruch des Faschismus, ein Lehrstück mit dem Titel „Biedermann und die Brandstifter“ geschrieben. Viele Menschen entdeckten darin eine Parabel zum Verhalten der Regierungschefs Frankreichs und Großbritanniens, Daladier und Chamberlain, vor dem II. Weltkrieg. Beide hatten mit ihrer Beschwichtigungspolitik Hitlers Aufrüstung so tatenlos hingenommen wie den Anschluss Österreichs und die Annektion des Sudetenlandes. Wie trügerisch war die Hoffnung, sich den Frieden durch Wegschauen erkaufen zu können!

Deutschlands Sicherheitsexperten haben immer vor dem Glauben gewarnt, dieses Land sei nur wegen seiner zurückhaltenden Außenpolitik und der Effizienz der deutschen Sicherheitsorgane bislang von größeren Anschlägen verschont geblieben. Dies sei, so sagen sie, einzig darauf zurückzuführen, dass die Kommandozentralen von Al Qaida solche Attacken auf deutschem Boden derzeit nicht für opportun hielten. Dass es keine gezielte Rücksicht auf Deutsche gibt, hat der 11. April 2002 gezeigt. An diesem Tage wurde die Synagoge von Djerba während einer Besichtigung durch eine deutsche Reisegruppe zerstört. 14 ihrer Mitglieder starben.

Was folgt für uns, wenn sich die Al Qaida-Spur bestätigt? Einen sich auch auf Mobilität gründenden modernen Rechtsstaat kann man nicht durch welche Reglementierung auch immer anschlagssicher machen. Wenn man nicht den gesamten öffentlichen Verkehr zum Erliegen bringen will, bleibt jede Prävention Stückwerk. Kontrollen wie auf Flughäfen sind auf innerstädtischen Bahnhöfen angesichts der völlig unterschiedlichen Verkehrsdimensionen ausgeschlossen. Das Risiko von Anschlägen wie jetzt in Madrid kann man durch erhöhte Wachsamkeit vielleicht minimieren – und diese Wachsamkeit muss auch gefordert und gefördert werden – ausschließen aber kann man es nie. Und gegen Selbstmordattentate gibt es ohnedies keine Vorbeugung.

Verteidigungsminister Peter Struck hat die neue deutsche Sicherheitspolitik mit dem Satz umschrieben, das Land werde am Hindukusch verteidigt. Das ist richtig. Aber es hat eine Kehrseite: Deutschland kann in Deutschland angegriffen werden – von denen, gegen die wir es am Hindukusch verteidigen.

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