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Politik: Der Kampf der Kanzlerin

Verkannte Ironie und viel demonstrative Entschlossenheit in der letzten Bundestagsdebatte vor der Wahl

Von Robert Birnbaum

Grammatik ist ein dröges Fach, aber lehrreich manchmal doch. Welcher Redner achtet schon im Deutschen Bundestag präzis darauf, welche Zeitform er benutzt? So wird aus der letzten Sitzung im Reichstag vor der Wahl, jenseits der Wahlkampftöne, eine unfreiwillig ehrliche Sache. „Wir wollen…“, sagt Franz Müntefering, wenn der SPD-Chef über die Zukunft redet. „Wir werden…“, sagt Angela Merkel. Und Joschka Fischer – Joschka Fischer kriegt so viel Applaus von der falschen Seite wie noch nie. Das ist in dem Moment, in dem der Obergrüne sich darüber ärgert, dass Merkel in der ersten Reihe ihm spöttisch applaudiert. „Selbst die Kanzlerin klatscht!“ ätzt Fischer. Verblüffte Mienen bei SPD und Grünen. „Selbst die Kanzlerin klatscht“, wiederholt Fischer, wohl im Glauben, der Witz sei nicht angekommen. Dann geht ihm ein Licht auf. „Bei euch darf man Ironie nicht einsetzen“, nuschelt er.

Nein, nach Ironie ist den regierenden Parteien nicht. Hier und heute schon gar nicht. Auf Marktplätzen, bei Parteitagen, in Fernsehstudios mag sich jeder seine Welt zurechtlegen, eine, in der Rot-Grün durch ein Wunder wiedergewählt wird, eine andere, in der Schwarz-Gelb ausgemachte Sache ist. Nur hier im Plenarsaal funktioniert die Illusion schlecht. Hier wird es zur symbolischen Generalprobe für die Zeit nach der Wahl, wenn Fischer bloß mal kurz von der Regierungsbank aufsteht und sich neben die Fraktionschefin Krista Sager setzt.

Gerhard Schröder, wenn er nicht kurz nach draußen geht, sitzt die ganze Zeit über ganz vorne rechts in der Regierungsbank auf dem Kanzlerplatz. Soll keiner auf den Gedanken gebracht werden, dass er den bald räumen müsse. Deshalb klingt auch seine Rede nicht nach Abschied, sondern kämpferisch. Besonders, wenn es um die Umweltpolitik geht oder um Merkels Ankündigung, deutsche Atomkraftwerke länger laufen zu lassen und darum, dass man in der Energiepolitik künftig „massiv auf erneuerbare Energien“ setzen müsse. Fischer guckt begeistert von der Seite. So aus vollem Herzen grün hat er seinen Kanzler lange nicht erlebt. Schröder setzt alles ein aus seinem sehr beachtlichen rhetorischen Repertoire: Vom zornigen Spott über den „Professor aus Heidelberg“ – „Wer bezahlt denn das, was Herr Kirchhof da will?“ – bis zum Friedenskanzler einer „mittleren Macht, die hilft, wenn Freunde in Not sind, aber die Nein zu sagen in der Lage ist“. Wobei zwei Drittel der Zeit Attacken auf die Opposition einnehmen, etwas ungewöhnlich für eine Regierungserklärung. Schröder endet mit dem Satz, der zugleich die Überschrift ist: „Wir sind auf dem richtigen Weg.“ Der Beifall rauscht, SPD und Grüne erheben sich. Nur Werner Schulz nicht, der Mann, der gegen diese Neuwahl geklagt hat. Ein paar andere Grüne auch nicht.

Dann ist die Kandidatin dran. Für Merkel wird es zum Rückspiel des TV-Duells, allerdings unter ungleich günstigeren Bedingungen. Allein weil Schröder nicht dazwischenreden kann. Merkel hält eine selten kämpferische Rede; die eigenen Reihen haben Grund, nicht nur pflichtgemäß zu applaudieren. Sie tun es besonders laut, als Merkel daran erinnert, dass in knapp zwei Wochen schließlich nur deshalb gewählt wird, weil Schröder seinen Leute nicht mehr vertrauen wollte. „Gescheitert an seiner Partei, an sich selbst und an der Realität“ lautet Merkels Bilanz, alles andere bloß „Schall und Rauch“. Der Kanzler – „Vergangenheit“. Schröders Popularität zu neutralisieren ist Schlussstrategie des Unionswahlkampfs: Was immer ihr wählt, soll die Botschaft an die Bürger lauten, Schröder kriegt ihr nicht wieder. Edmund Stoiber wird sich später höhnisch-höflich zur Regierungsbank hin verbeugen und seinen Dank abstatten für die Neuwahl: „Sie haben am 22. Mai unserem Land ein Jahr Rot-Grün erspart.“ Guido Westerwelle haut direkt in die Kerbe: „Das war ihre letzte Rede als Regierungschef.“ Schröder lacht den FDP-Chef breit aus. Er lacht aber nur kurz. Danach mahlen seine Kiefer wieder aufeinander.

Bleibt nachzutragen, dass einer überhaupt nichts zu lachen hat. Das ist Hans Eichel. Einmal versucht er mit Schröder ins Gespräch zu kommen, aber der schiebt ihn mit einer Handbewegung beiseite. Merkel, Westerwelle, alle haben sie das Interview hochgehalten, das – es muss bescheiden erwähnt werden – der Finanzminister dem Tagesspiegel gegeben hat. Von massivem Subventionsabbau war da zu lesen und von Veränderungen beim ermäßigten Mehrwertsteuersatz. Wie man das Unwort „Mehrwertsteuer“ auch nur in den Mund nehmen kann – Kopfschütteln in der Koalition. Eichel steht nicht auf der Rednerliste. Und das, wo dies doch amtlich die Debatte über den Bundeshaushalt ist.

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