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Da waren es nur noch drei. Im Mai 2015 starb in Niedersachsen das viertletzte Nördliche Breitmaulnashorn namens Molly. Es wurde 54 Jahre alt.

© dpa

Der Kampf gegen das Artensterben: Das Nashorn stirbt aus, weil der Mensch dem Wachstum frönt

Moderne Reproduktionstechnik soll helfen, das Nördliche Breitmaulnashorn vor dem Aussterben zu bewahren. Aber ist das nicht sinnlos, wenn der Mensch nicht gleichzeitig massiv sein Verhalten ändert? Ein Kommentar

Ein Kommentar von Ariane Bemmer

Für Nichtfachleute klang die erfreute Mitteilung von Ende Dezember aus dem Berliner Osten wie ein wissenschaftlicher Infozettel zum Drehbuch für „Jurassic Park“: Forscher vom Leibniz-Institut für Zoo- und Wildtierforschung aus Karlshorst beabsichtigen, zusammen mit anderen Instituten, das Nördliche Breitmaulnashorn mit neuer Stammzelltechnologie vorm Aussterben zu retten. Der Artentod könnte jederzeit passieren, denn es gibt noch genau drei betagte Exemplare der Art.

Wie es in der Mitteilung heißt, wolle man natürliche Keimzellen dieser letzten drei Tiere sowie induzierte pluripotente Stammzellen vermehren. Pluripotente Stammzellen könne man aus normalen Körperzellen wie beispielsweise der Haut gewinnen und wolle aus ihnen männliche und weibliche Keimzellen machen. Der Plan ist, diese dann nach einer künstlichen Befruchtung in eine Leihmutter einzubringen – vermutlich in Südliche Breitmaulnashörner, von denen es noch ein paar mehr Tiere gibt. So könnte man gleich mehrere Jungtiere zeitgleich zum Leben erwecken.

Ein Erfolg bietet neue Möglichkeiten im Kampf gegen das rasante, vom Menschen verursachte Artensterben“, meinen die Forscher optimistisch.

Wo der Zweifel anknüpft: Das Artensterben ist vom Menschen verursacht

Artensterben aufhalten, indem man bedrohte Arten per reproduktionstechnische Kniffe erhält – ein verlockender Gedanke. Viel zu tun gäbe es auch: Mehr als 5000 Tierarten stehen an der Grenze zur Ausrottung. Und doch ist der Zweifel an der Marschrichtung im Berliner Freudenruf schon inbegriffen: Das Artensterben ist vom Menschen verursacht.

Im Falle des Nördlichen Breitmaulnashorns heißt das, der Mensch beschnitt den Lebensraum des gewaltigen Pflanzenfressers, der dereinst zwischen Kongo und dem Sudan umherwanderte, die Tiere gerieten zwischen Bürgerkriegsfronten, und außerdem wurden sie trotz eines Artenschutzprogramms und trotz Androhung drakonischer Strafen wegen ihres Horns gewildert, aus dem – es klingt immer wieder furchtbar banal – Potenzmittel für Männer im asiatischen Raum gewonnen wird. Diese Wilderei hat viel mit der politischen und wirtschaftlichen Lage in afrikanischen Ländern zu tun, die so betrüblich ist, dass Wilderei eine Option ist.

Ein Tier retten, für das es keinen Platz mehr gibt - wozu?

Da eine Arterhaltung via Labor an diesen Bedrohungssituationen nichts ändern würde, kommen Fragen auf: Stellt man Tiere her, für die es gar keinen sicheren Platz gibt? Stellt man – ketzerisch gesagt – am Ende Rohstofflieferanten für Potenzmittel her? Ist es überhaupt sinnvoll, das Nashorn zu retten, wenn man nicht zugleich die Umstände ändert, die zu seinem Aussterben führten?

Der Mensch betreibt Raubbau an seiner Umgebung, er beutet sie aus und zerstört sie in großem Umfang. Das ist nicht neu. 1993 wurde eine Biodiversitäts-Konvention unterzeichnet, der gemäß das Artensterben bis 2010 gestoppt werden sollte. Als klar wurde, dass das nicht gelingt, wurde die Frist bis 2020 verlängert. In diese Verlängerung platzte die Meldung, das sechste große Artensterben – das fünfte vor 65 Millionen Jahren machte dem Dinosaurier den Garaus – sei bereits im Gange.

Artensterben fängt grob formuliert bei der insektenreichen Wiese an, die zugunsten einer industrialisierten Landwirtschaft platt gemacht wird, und geht bis zum tödlichen Angriff auf das einzelne Individuum. Auch von Schimpansen war gerade wieder zu lesen, dass Regenwaldabholzung und Wilderei ihr Überleben gefährden. Ebenso regelmäßig geht es um Korallenriffe, die von Überdüngung, Ozeanversauerung und Tauchtouristen zerstört werden, als Freizeitaktivität. Und nicht mal Letzteres wird effektiv unterbunden.

Die Wachstumsideologie fordert Tribut - zahlbar in Arten

Wenn moderne Technik es dem Menschen nun ermöglichen würde, bei bevorstehender Ausrottung einer Art rasch einen Bausatz von Zellen in ein Labor zu geben und eine neue Population zu bekommen, könnte er sich um die Konsequenzen seines rücksichtslosen Umgangs mit dem Planeten herumdrücken. Er würde sie einfach rückgängig machen. Wie er einen Becher Milch, der umgefallen ist – uups, aber nicht so schlimm! – neu mit Milch füllt.

Was also dann? Das Nördliche Breitmaulnashorn aus erzieherischen Überlegungen aussterben lassen? Die Forderung fällt schwer. Natürlich ist es schade um jede Art, die ausgerottet wird, weil die Welt dann ärmer wird – auch wenn es den Arten selbst sicher egal ist. Aber ebenso natürlich ist das die Konsequenz der weltweit verbreiteten Idee von Wachstum, die ihren Tribut fordert. Zahlbar in Arten.

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