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Peer Steinbrück (SPD) am Freitag im Willy-Brandt-Haus.

© dpa

Der Kandidat: Peer Steinbrück nimmt die Herausforderung an

Sich als Spitzenmann zu empfehlen, dafür hat er in den vergangenen Wochen viel getan. Wo immer er auftrat, war zu spüren: Hier verfolgt einer ein Ziel – und das mit Energie. Jetzt ist Peer Steinbrück angekommen.

Von Hans Monath

Plötzlich kommt Bewegung in die strenge Miene von Peer Steinbrück. Gerade hat er noch mit zusammen gezogenen Augenbrauen ins Atrium des Willy-Brandt-Hauses geblickt, die Mundwinkel weit nach unten gebogen. Es ist ja auch ein ernster Moment, wenn man zum sozialdemokratischen Herausforderer von Angela Merkel ausgerufen wird. Doch urplötzlich löst sich die Maske, der 65-Jährige fängt an, breit übers ganze Gesicht zu strahlen.

Den Ex-Finanzminister begeistert in diesem Moment nicht die Ankündigung von Parteichef Sigmar Gabriel, wonach der SPD-Vorstand ihn am Montag als Kandidaten nominieren wird. Nein, worüber er sich freut, ist der spontane Applaus, der nun aufbrandet. Eigentlich ist die Parteizentrale an diesem Tag für einen sportpolitischen Kongress der Genossen reserviert, alles geht ein bisschen durcheinander an diesem Freitagnachmittag. Die Parteibasis jedenfalls freut sich über seine Nominierung, obwohl ihm nachgesagt wird, so viel Distanz zur eigenen Partei zu halten.

Es sind nur ein paar Stunden, in denen die Ordnung der SPD erst im Kleinen aus dem Ruder läuft und dann im Großen sehr schnell wieder hergestellt wird. Geplant hat die Ausrufung und die Pressekonferenz noch vor wenigen Stunden niemand. Sie ist schlicht unausweichlich geworden.

Was war es doch harmonisch: Die besten gemeinsamen Zeiten von Angela Merkel und Peer Steinbrück:

Sigmar Gabriel ist gerade in Bayern unterwegs, als ihn eine wichtige Nachricht aus Berlin überrascht. Am Donnerstagabend gegen 22 Uhr berichtet er noch zufrieden auf seiner Facebook- Seite, wie er den Bürgerdialog erlebt hat, für den er in den Freistaat gereist ist. In Bayern wird im Herbst 2013 gewählt. „Ich war gerade bei einer sehr schönen Veranstaltung zum SPD-Bürger-Dialog in Nürnberg“, teilt Gabriel mit. Dabei habe er „nicht nur viel gelernt, sondern auch eine Menge Dialogkarten eingesammelt“. Die „Dialogkarten“ hat SPD-Generalsekretärin Andrea Nahles nach dem Vorbild von Obamas Wahlkampf erfunden, damit die Wähler ihre Wünsche an die Parteiführung notieren können.

Am nächsten Tag will Gabriel eigentlich eine Rede vor dem kommunalpolitischen Kongress der SPD-Landtagsfraktion in München halten. Aber dazu kommt es nicht mehr. Fraktionschef Frank Walter-Steinmeier, zu diesem Zeitpunkt noch potenzieller Anwärter auf die Kandidatur, bringt die Dinge in Bewegung. Am Donnerstagabend lässt er durchsickern, dass er nicht zur Verfügung steht. Weil da längst klar ist, dass der Parteichef sich selbst nicht vorschlagen wird, ziehen die Journalisten ihre Schlüsse. Schon um sieben Uhr am Freitagmorgen klingeln die Mobiltelefone der Pressesprecher. Gabriel sagt seine Rede ab und und macht sich auf den Weg nach Berlin.

Er muss sich beeilen, denn er muss alles daran setzen, Herr des Verfahrens zu bleiben. Die rasche Abfolge von Meldungen in den vergangenen Wochen, wonach er selbst aus dem Rennen längst ausgeschieden sei und Steinbrück als Kandidat feststehe, kratzten zunehmend an seiner Autorität. Als Parteichef ist Gabriel zwar unumstritten, er hat die SPD wieder zusammengeführt, programmatisch gestärkt und „das Gift aus den Auseinandersetzungen herausgenommen“, wie ein Vorstandsmitglied sagt.

Das Drama vom Schwielowsee ist unvergessen

Peer Steinbrück (SPD) am Freitag im Willy-Brandt-Haus.
Peer Steinbrück (SPD) am Freitag im Willy-Brandt-Haus.

© dpa

Aber ein SPD-Vorsitzender, der die wichtigste Entscheidung nur noch abnickt, wirkt schwach. Unvergessen ist in der SPD das Drama vom Schwielowsee, wo im September 2008 Kurt Beck den Parteivorsitz nur aus einem Grunde hinschmiss: Weil die Presse die Kür von Steinmeier zum Kanzlerkandidaten schon hinausposaunt hatte, bevor er selbst sie am nächsten Tag bekannt geben konnte. Beck fühlte sich als Opfer einer Intrige, die ihm keinen eigenen Handlungsspielraum mehr ließ. Es ist eine seltsame Wendung, dass er vier Jahre später seinen Rücktritt als rheinland-pfälzischer Ministerpräsident nun ausgerechnet im Schatten der Entscheidung über den nächsten SPD-Kanzlerkandidaten bekannt gibt.

Aber in Berlin ist das an diesem Tag nicht mehr wichtig. Im Willy-Brandt- Haus bekräftigen Gabriel, Steinbrück und Steinmeier ihre Troikastrategie, die damit begann, dass der Parteichef im Jahr 2010 den Ex-Finanzminister als Kanzlerkandidat ins Gespräch brachte. Oft wurde gehöhnt über die Troika und ihren Wert für die SPD, gespottet über vermeintliche Rivalitäten und Fouls der drei Protagonisten. Nun bemühen sie sich um den Beweis, dass nach der Entscheidung der Zusammenhalt weiterhin so stark ist, wie sie das immer behauptet haben.

Dass Gabriel seine eigenen Ambitionen zurückstellen würde und tatsächlich den Kandidaten vorschlägt, der bessere Chancen hat als er selbst, hat ihm die eigene Partei schon lange zugetraut. Nun sagt er: Schon seit Frühjahr wussten Steinmeier und Steinbrück von seinem Verzicht. Die beiden sollten es unter sich ausmachen.

Der Parteichef ist mit 53 Jahren weit jünger als beide anderen Anwärter – und dürfte nach menschlichem Ermessen sowohl bei einer Regierungsbeteiligung nach der Wahl im September 2013 als auch in der Opposition weiter an Einfluss gewinnen. Gut gelaunt sei er auf dem Rückweg nach Berlin gewesen, trotz des gewaltigen Drucks, sagt einer der mit ihm in Bayern unterwegs war.

Steinbrück selbst hat in den vergangenen Tagen viel dazu beigetragen, sich als Spitzenmann zu empfehlen. Sein Papier zur Regulierung der Banken traf nicht nur den Nerv seiner Partei. Weil es Substanz hatte, beschäftigte es tagelang auch Leitartikler und Wirtschaftsredaktionen. Und es setzte mit dem Kampf um die politische Kontrolle der Finanzmärkte ein zentrales Wahlkampfthema. Das hat auch Gabriel überzeugt. So sagt er es am Freitag.

Nur die Jusos nehmen es Steinbrück noch heute übel, dass er als Finanzminister vor sechs Jahren auf ihrem Bundeskongress in Saarbrücken eine Regulierung der Finanzmärkte für baren Unsinn erklärte. Die meisten Vertreter der Parteilinken honorieren, dass ihr alter Antipode in einem für sie zentralen Punkt dazugelernt hat und mit sachlicher Autorität nun das verfolgt, was sie lange gefordert hatten: das Primat der Politik wieder herzustellen. Über einen „großen Wurf" jubelte der Sprecher der Parlamentarischen Linken, Ernst Dieter Rossmann.

Dass er eine Chance gegen Merkel hat, drängt Zweifel an ihm zurück

Peer Steinbrück (SPD) am Freitag im Willy-Brandt-Haus.
Peer Steinbrück (SPD) am Freitag im Willy-Brandt-Haus.

© dpa

Zudem empfahl sich der gebürtige Hamburger als Wahlkämpfer, den der Vorwurf nicht schreckt, die SPD werde nach der Wahl 2013 ohnehin wieder in eine große Koalition mit Angela Merkel als Kanzlerin gezwungen. Zwar erscheint angesichts der Umfragen gegenwärtig kaum eine Alternative dazu denkbar, weil es für das offizielle SPD-Ziel einer rot-grünen Regierung nicht reicht. Doch der Ex-Finanzminister verspricht: „Peer Steinbrück wird nie wieder in einem Kabinett von Frau Merkel zu finden sein.“

Dieser Satz strahlt aus. Die Aussicht, dass hier ein Sozialdemokrat Merkel womöglich glaubwürdiger als andere Kandidaten Paroli bieten kann, ist nun auch für viele Parteilinke wichtiger als die böse Ahnung, Steinbrück werde sich in dem Moment nicht mehr als der folgsamste Diener sozialdemokratischer Parteiprogramme verstehen, sobald er Macht in der Hand hält. Die Hoffnung auf bessere Chancen gegen Merkel drängen auch die Zweifel an Steinbrücks Eignung zurück. Seine Macken sind allen bekannt. Die Rechthaberei des kühlen Hanseaten, seine Ungeduld, seine Abneigung gegen große Abstimmungsrunden, sein Fremdeln mit den Themen Ökologie und Integration, der laxe Umgang mit seinem Amtstitel als Minister, den er inzwischen bereut.

Bei allen Auftritten der vergangenen zwei Wochen, im eigenen Wahlkreis Mettmann I, beim Zukunftskongress der Bundestagsfraktion vor zehn Tagen und auch bei der Erläuterung seines Bankenpapiers war zu spüren: Hier verfolgt einer ein Ziel – und das mit Energie. Der Ex-Finanzminister präsentierte jene Mischung aus Volkshochschule, Kabarett und politischem Appell, die es den Zuhörern leicht macht, seinen komplizierten Argumenten zur Eindämmung der Schuldenkrise zu folgen. Wenn er etwa vor den Risiken eines Banken-Crashs warnt („Damit lösen Sie eine Erschütterungsdynamik aus“), streckt er die Hände weit von sich und schüttelt die Arme so heftig, bis sein ganzer Brustkorb von einem Beben erfasst zu sein scheint.

Der körperliche Einsatz veranschaulicht nicht nur die ökonomischen Risiken. Er demonstriert auch einen politischen Willen, der sowohl innerhalb als außerhalb der Partei Eindruck machte.

Genau diesen Willen ließ Steinmeier vermissen. Seit Monaten stand fest, dass er als Kandidat in der Partei viel breitere Unterstützung als die beiden anderen Anwärter gefunden hätte – trotz der Niederlage im Jahr 2009, als der damalige Kanzlerkandidat mit 23 Prozent das historisch schlechteste Ergebnis der SPD mit verantwortete. Aber anders als noch vor wenigen Monaten setzte der Fraktionschef keine Signale mehr, wonach er bereit sei.

Von der Beschreibung, er sei ein Zauderer, der sich nicht entscheiden könne, war der Fraktionschef offensichtlich zunehmend genervt. Schon nach dem Sommer habe er sich entschieden, sagt er nun, und spricht von „persönlichen Gründen“, ohne diese zu erläutern. Dass ihm seine Ehe und seine Familie mindestens so wichtig sind wie die Politik, hatte Steinmeier vor zwei Jahren bewiesen: Damals spendete er seiner kranken Frau eine Niere. Vielleicht denkt man anders über eigene Ambitionen, wenn man erfahren hat, wie wertvoll gemeinsame Zeit für Privates ist. Nun verspricht er dem „lieben Peer“, er wolle sich „im Wahlkampf so engagieren, als wäre es mein eigener“.

Was war es doch harmonisch: Die besten gemeinsamen Zeiten von Angela Merkel und Peer Steinbrück:

Vor einem Jahr hatte sich der Schachspieler Steinbrück von Altkanzler Helmut Schmidt als Kandidat empfehlen lassen, gemeinsam brachten sie ein Gesprächsbuch auf den Markt. Die Botschaft: „Er kann es.“ Damals rebellierte die SPD noch, Generalsekretärin Andrea Nahles rüffelte, in ihrer Partei rufe man sich nicht selbst aus. Längst hat Steinbrück eingesehen, dass er damals einen Fehler machte.

Im Atrium des Willy-Brandt-Hauses erinnert Parteichef Gabriel an die Empfehlung Helmut Schmidts, der als Kanzler auch an seiner eigenen Partei gescheitert war und trotzdem heute von ihr gefeiert wird. „In der SPD ist alles wie früher“, sagt er: „Am Ende behält Helmut Schmidt immer recht.“

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