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Politik: Der Kanzler wendet sich einer von ihm ungeliebten Partei zu - seiner eigenen (Kommentar)

Es geht immer weiter, hat ein zeitgenössischer Soziologe festgestellt. Eine Stunde Null gibt es nicht.

Es geht immer weiter, hat ein zeitgenössischer Soziologe festgestellt. Eine Stunde Null gibt es nicht. Das gilt auch für den Beginn der Politik in Berlin. Der Ort ist neu, die Personen und die Probleme bleiben. Nichts illustriert das besser als das "Machtwort", mit dem der mächtigste Politiker der Republik das Sommertheater beendet oder auch gekrönt hat. Gerhard Schröder, zurück aus dem Urlaub, findet seine Regierung und seine Partei so vor, wie er sie verlassen hat: zu vielem bereit, unklar bloß, wozu wirklich entschlossen.

Der erste Eindruck vom neuen Hausherrn am Schlossplatz 1 in Berlin Mitte bleibt ähnlich zwiespältig: Sachlich klingt sein Machtwort klar. Es bleibt beim Spar- und Reformkurs der Bundesregierung. Die Rentner müssen sich auf Kürzungen einstellen, die Autofahrer brauchen sich nicht vor übermäßigen Belästigungen zu fürchten. Wie viel das Machtwort wert ist, wird nach der Serie unerfreulicher Wahlergebnisse zu ermessen sein, die der SPD ins Haus stehen.

Damit ist die Frage gestellt: Wie steht es um das Machtwort des Parteivorsitzenden an seine Genossen? Das hängt unter anderem von den Wahlergebnissen ab. Aber nicht nur. Mindestens so wichtig ist die Bereitschaft Schröders, zu seinen Worten zu stehen. Was die Partei angeht, hat er dafür die organisatorischen Voraussetzungen geschaffen. Der SPD-Chef wird auch den Vorsitz jener Kommission übernehmen, die ein neues Parteiprogramm erarbeiten soll. Bei seinem praktischen Arbeitspensum wird er jedoch nur als Präsident der Abteilung Theorie fungieren können.

Mindestens so wichtig wie diese ist daher eine zweite Personalentscheidung: Rudolf Scharping soll bei der Neuerfindung der SPD aus dem Geiste ihres Parteiprogramms die Geschäfte führen. Darum also wollte Schröder den Verteidigungsminister nicht in Richtung Nato entschwinden lassen: Er braucht ihn und er nutzt ihn als Partner. An der Spitze der SPD schält sich ein neues Zweigestirn heraus. Nachdem der Kanzler seinen Wahlsieg-Partner Oskar Lafontaine waidwund gemobbt hatte, könnte dies ein Signal sein, dass er diesmal ernst macht mit der neuen Ernsthaftigkeit. Darüber hinaus beweist es Kontinuität. Der gescheiterte Kanzlerkandidat Scharping hat seinerzeit jenen programmatischen Modernisierungkurs begonnen, den Schröder nun fortsetzen will. Schröder sagt der SPD damit etwas Beruhigendes: Wir, die SPD, machen unser Programm selbst - und nicht Tony Blair.

Wer den Freunden etwas zumuten will, muss auch Vertrauen schaffen. Scharping ist Schröders vertrauensbildende Maßnahme. Im Dezember kommt noch Franz Müntefering hinzu, der sich als stellvertretender Parteichef ums Organisatorische kümmern soll. Erfolgreich wie einst im Wahlkampf soll es weitergehen.

So kann ihm die SPD folgen, im Vertrauen darauf, dass er auf die Partei Rücksicht nimmt, und darauf, dass das schmerzensreiche Sparpaket unausweichlich ist. Reicht dem Vorsitzenden das? Offenbar nicht. Gestern verhieß er den Seinen, bald werde die Wirtschaft um drei Prozent wachsen. Und dann gebe es auch wieder etwas zu verteilen. Eine kleine Illusion, die eine beträchtliche Menge Wahrheit umschließt.

Thomas Kröter

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