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Politik: Der Kreisverband Bernau soll Millionen veruntreut haben. Laut DRK-Präsident Ipsen sind das "keine Einzelfälle"

Mitarbeiter des Deutschen Roten Kreuzes (DRK) haben nach Recherchen des ARD-Magazins "Kontraste" und des ORB-Magazins "Klartext" jahrelang Überschüsse in Millionenhöhe zu dubiosen Geschäften verwendet, die weder der Satzung des DRK entsprechen noch gemeinnützig sind. Der DRK-Kreisverband Bernau errichtete mit Einnahmen aus dem Rettungsdienst unter anderem ein "Multisoziales Begegnungszentrum" mit drei Solarien, einem Eiscafé und einer Diskothek.

Von Sabine Beikler

Mitarbeiter des Deutschen Roten Kreuzes (DRK) haben nach Recherchen des ARD-Magazins "Kontraste" und des ORB-Magazins "Klartext" jahrelang Überschüsse in Millionenhöhe zu dubiosen Geschäften verwendet, die weder der Satzung des DRK entsprechen noch gemeinnützig sind. Der DRK-Kreisverband Bernau errichtete mit Einnahmen aus dem Rettungsdienst unter anderem ein "Multisoziales Begegnungszentrum" mit drei Solarien, einem Eiscafé und einer Diskothek. Der langjährige Geschäftsführer des Kreisverbandes, Alfred Quart, wurde inzwischen beurlaubt. Die Staatsanwaltschaft Frankfurt (Oder) hat "gegen Verantwortliche des DRK" Ermittlungen aufgenommen, sagte Sprecher Klaus Ness gestern auf Anfrage.

"Mit der Büchse hat sich schon lange keiner mehr auf die Straße getraut." Verlegen schaut Beate S. (Name von der Redaktion geändert) auf ihre Hände. Sie sitzt mit ihrem Kollegen in der Kreisgeschäftsstelle des DRK in der Bernauer Jahnstraße. Zu zweit lässt es sich leichter reden, denn so manch ein Mitarbeiter, der es wagte, gegen die Chefetage das Wort zu erheben, ist in Wochenfrist gegangen worden. "Aber jetzt kann ich nicht länger zusehen, wie hier alles den Bach runter geht."

Ende September in den DRK-Büroräumen: Drei Herren schleichen durch das Büro. Es wird nur leise gesprochen. Die Stimmung ist bedrückend. Im Konferenzraum stapeln sich Berge von Aktenordnern. Notdürftig in Kisten verpackt, warten sie auf ihren Abtransport. Das Ordnungsamt will in einer Tiefenprüfung herausfinden, ob das DRK Gelder aus dem Rettungsdienst anderweitig eingesetzt hat. Einige Wochen zuvor war eine anonyme Anzeige eingegangen. "Wir haben Hinweise bekommen, dass Unregelmäßigkeiten im Geschäftsablauf des Rettungsdienstes des DRK Bernau vorliegen," sagt Olaf Neu, Leiter des Ordnungsamtes, mit einem Packen Akten unter dem Arm. "Wir müssen prüfen, ob das DRK mit dem Rettungsdienst Gewinne erwirtschaftet hat. Die Einnahmen sind Gebühren und dürfen nur für den Rettungsdienst verwendet werden. Und", fügt Neu hinzu, "aus dem Rettungsdienst dürfen keine Gewinne erwirtschaftet werden." Ein kurzer Blick in das Büro des Geschäftsführers lässt ahnen, was da in Büchern zu finden sein könnte. Eine Sitzgruppe aus edlem lindgrünem Leder steht in dem riesigen Büro. Dahinter der ausladende Schreibtisch des Geschäftsführers. Woher hat ein Verein für diesen Luxus an Raum und Möbel das Geld her?

Nach der Wende wurde in Bernau der Kreisverband des Deutschen Roten Kreuz als gemeinnütziger Verein gegründet. Das hatte vor allem einen großen Vorteil: Man zahlte keine Steuern und konnte Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen einreichen. Alfred Quart, ein ehemaliger Hilfsarbeiter, wurde kurzerhand zum Geschäftsführer ernannt. Und über ABM habe man sich über die "Aufbaujahre" gehangelt, so die Mitarbeiter. 1995 gründete das DRK den Rettungsdienst aus dem Verein aus. Zusammen mit Dieter Erhardt, der bis dahin einen eigenen kleinen Rettungsdienst fuhr, wurde eine gemeinnützige GmbH gegründet. Auch diese genießt Steuervorteile, darf aber - im Gegensatz zum Verein - einen kleinen Gewinn erwirtschaften. Dieter Erhardt als technischer Geschäfsführer der Rettungsdienst gGmbH erhält 49, das DRK die restlichen 51 Prozent der Anteile. Alfred Quart, der DRK-Kreisgeschäfsführer, wird zugleich zum angestellten, kaufmännischen Geschäftsführer der gGmbH bestellt. "Um die Finanzen habe ich mich nie so recht gekümmert. Ich war hauptsächlich für die Organisation verantwortlich", sagt Erhardt, "ich hatte ja schließlich auch weniger Stimmanteile." Für ihn und die über 60 Mitarbeiter des Rettungsdienstes steht viel auf dem Spiel: Sollte sich der Verdacht des Ordnungsamtes bestätigen, sind die Arbeitsplätze gefährdet. Und da hilft es dann wenig, dass Quart das Geld verwaltete. Für die geschäftlichen Aktivitäten des DRK scheint sich indes niemand interessiert zu haben. Es ist niemand zu finden, der sich gefragt hätte, was ein Eiskaffee, ein Solarium oder eine vor zwei Jahren angeschaffte, 700 000 Mark teure Offsetdruckerei mit den originären Aufgaben des Deutschen Roten Kreuzes zu tun haben.

Ebenfalls vor zwei Jahren zog der Bernauer DRK-Kreisverband in das neu errichtete Rollbergeck unweit des Stadtzentrums. Zum Umzug erweiterte das DRK die Abteilung Öffentlichkeitsarbeit. Inzwischen stehen hier Maschinen und Computer im Wert von mindestens 2 Millionen Mark. Damit wurden nicht nur Werbeblättchen für den Kreisverband gedruckt: Es gibt Rechnungen von Gaststätten aus der Umgebung, die beim DRK Rechnungsblöcke und anderes wichtiges "Gaststättenzubehör" drucken ließen - zum marktüblichen Preis.

Im Ordnungsamt des Landkreises Barnim rattert die Rechenmaschine. Eine Mitarbeiterin gibt unermüdlich Zahlen ein. Alle Einnahmen müssen zusammengerechnet und mit den Summen der Ausgaben verglichen werden. Den ersten Abschluss gibt es für das Jahr 1997. Hier hatte der Kreis schon einmal etwas tiefer in die Bücher geschaut. "Es ergibt sich eine unerklärliche Differenz von 800 587 Mark", schreibt der Landkreis an das DRK. "Das können Darstellungsprobleme sein", versucht Ordnungsamtsleiter Olaf Neu die Summe klein zu reden. Diese Differenz wurde allerdings in keiner Jahresrechnung angegeben. Neu bestätigt dagegen, dass - nach der ersten Durchsicht der Akten - es seit 1992 Gewinne beim Rettungsdienst des DRK Bernau gegeben habe - und zwar in Millionenhöhe. "Die genaue Prüfung wird aber noch Wochen dauern", erklärt der Leiter des Ordnungsamtes.

Seit 1992 zahlt die Krankenkasse etwa 850 Mark pro Rettungseinsatz. So wie es das Rettungsdienstgesetz in Brandenburg vorsieht, legte der Kreis damals diese Gebühr fest, die die Kassen zu zahlen haben. Diese Gebühr soll die Kosten des Rettungsdienstes decken. Entsteht am Ende des Jahres ein Überschuss, muss dieser an den Kreis und von dort an die Kassen zurückgezahlt werden. Da in Bernau Überschüsse nie auftauchten, konnte auch nichts an die Kassen zurückgegeben werden. Beate S. geht ins Eiskaffee. Allein die Ausstattung mit Theke und Schankanlage, Jukebox und Barhockern hat sich das DRK über 100 000 Mark kosten lassen. Die Küchenausstattung war nicht unter 50 000 zu kriegen und die Renovierungskosten lagen noch einmal um ein vielfaches höher.Vom Kaffee aus gelangt man direkt auf die Sonnenbank. Davon hat das DRK in Bernau gleich drei, unter 35 000 ist keines dieser Solarien zu kriegen. Auch die Miete für die Räumlichkeiten schlägt hoch zu Buche. Ein Mitarbeiter bestätigt, dass pro Monat 20 000 Mark bezahlt werden müssen. Am 1. Oktober erhielt Geschäftsführer Alfred Quast vom DRK-Kreisvorstand seine Kündigung. Damit spart das DRK zumindestens dessen Monatsgehalt in Höhe von 20 000 Mark.

Der DRK-Kreisverband erklärt in einer Pressemitteilung, dass die geschäftlichen Aktivitäten des ehemaligen Geschäftsführers "nicht in jedem Punkt den auf Gemeinnützigkeit ausgerichteten Intentionen unser Satzung entsprochen haben". Der Vorstand rechne mit Blick auf die Komplexität der Vorgänge mit einer längeren Überprüfung. Torsten Rexin, derzeit ehrenamtlicher Vorstandsvorsitzender des DRK-Kreisverbandes war gestern für eine Stellungnahme nicht zu erreichen. Der ehemalige DRK-Geschäftsführer Alfred Quart wollte auf Anfrage "zurzeit keine Stellungnahme" abgeben.

In einem Schreiben an Vorstand und Geschäftsführung des Kreisverbandes Bernau vom 25. 9. 1996 wünschte der Präsident des Landesverbandes Kaspar von Oppen weiterhin Erfolg. Damals wurden ihm die Projekte vorgestellt: "Sie werden bemerkt haben, dass der Schwung Ihres Triumvirats uns außerordentlich beeindruckt hat... . Sicherlich ist dabei wichtig, dass Sie stets den optimalen Weg zwischen dem Roten Kreuz als Idealverein und dem Roten Kreuz als Unternehmen finden."

Das Bernauer DRK-Geschäftsgebaren ist offenbar kein Einzelfall. In Bochum tätigte der dortige Kreisverband dubiose Grundstücksgeschäfte: Der Verein soll seiner Geschäfsführerin ein Grundstück gekauft haben, auf dem sie ihre Privatvilla errichtet haben soll. Auch in Bochum hat die Staatsanwaltschaft wegen des Verdachts der Untreue die Ermittlungen aufgenommen. Der Präsident des DRK-Bundesverbandes, Knut Ipsen, räumte ebenfalls ein, dass solche Vorkommnisse beim DRK keine Einzelfälle seien. Es gebe vielmehr "einen ganz erheblichen Bedarf an Umstrukturierung".

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