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In Handschellen wird Nawalny nach dem Prozess abgeführt.

© Sergei Bobylev, dpa

Der Kreml gegen Nawalny: Wie in alten sowjetischen Zeiten

Mit aller Härte der Staatsmacht geht Russlands Führung gegen den Oppositionellen vor. Im Westen halten das viele für ein Zeichen von Schwäche.

Russlands Justiz hat kurzen Prozess gemacht mit Alexej Nawalny. Damit musste der Oppositionspolitiker nach den Ankündigungen rechnen. Nun sitzt er 30 Tage Haft, zu denen er nur einen Tag nach seiner Rückkehr aus Deutschland im Eilverfahren verurteilt wurde, im Moskauer Gefängnis „Matrosenstille“ ab. Und das ist nur der Anfang. Schon am 2. Februar wird der Putin-Kritiker erneut vor Gericht stehen, dann geht es um eine Strafe bis zu dreieinhalb Jahren Haft. Ein weiteres Verfahren ist in Vorbereitung.

Von der ersten Verhandlung am Montag werden vor allem zwei Bilder im Gedächtnis bleiben, die in den sozialen Netzwerken kursieren. Das eine zeigt das fassungslose Gesicht Nawalnys in der Polizeistation von Chimki am Moskauer Stadtrand. Er hatte damit gerechnet, sich mit seinen Anwälten beraten zu können, stattdessen stand er bereits vor Gericht.

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Das andere Bild zeigt Nawalny vor einer Wandzeitung. Darauf ist das Porträt des berüchtigten Genrich Jagoda zu sehen. Der war in der Anfangsphase der stalinistischen Säuberungen unter anderem für die Organisation der ersten Schauprozesse und der Lager verantwortlich, bevor er selbst den Repressionen zum Opfer fiel. Eine ungewollte Erinnerung. Die Wandzeitung hatten die Regisseure der Verhandlung wohl in der Eile übersehen.

Die Moskauer Führung wirkt auf den ersten Blick ungewöhnlich nervös – dies ist vor allem eine westliche Beobachtung. Russische Experten sehen das in ihren Analysen differenzierter. Insgesamt entwickle sich die Situation um Nawalny nach dem vorhersehbaren Szenario, meint der St. Petersburger Politologe Igor Grezki auf der oppositionellen Online-Plattform „Rosbalt“. „Alles erinnert an die Atmosphäre sowjetischer Zeiten, als die Staatsmacht die ganze Gewalt ihres Repressionsapparates auf Dissidenten anwandte, die als Einzelkämpfer einer gehorsam-aggressiven Mehrheit gegenüberstanden.“ Die Reaktionen der internationalen Gemeinschaft seien dem Kreml schon lange nicht mehr wichtig, meint Grezki. „Begriffe wie Reputation oder Image gibt es für die russische Außenpolitik und die Leute, die in diesem Feld die Entscheidungen treffen, nicht.“

Die Erklärungen des Kremls werden geglaubt

Doch das wird gerade kontrovers diskutiert. Verbreitet ist auch die Ansicht, die russische Führung hoffe darauf, den Dialog mit der neuen US-Administration wieder aufzunehmen und neue Sanktionen zu vermeiden. Deshalb würden bei Nawalny die Schrauben nicht so fest angezogen – zumindest nicht sofort. Der Putin-Kritiker Wladislaw Innosemzew, der unter Kollegen in Russland wie international hohes Ansehen genießt, hält die Vorstellung für naiv, dass Nawalny zum Gegenstand eines wie immer gearteten „Handelns zwischen dem Kreml und der neuen amerikanischen Administration“ werden könnte. „Moskau ist bereit, mit dem Westen internationale Probleme zu diskutieren, aber nicht über Dinge, die man für innere Angelegenheiten hält.“

Mit Blick auf die Innenpolitik scheint die Reaktion der Staatsmacht auf die Rückkehr Nawalnys überzogen. Drei Viertel der russischen Bevölkerung wissen etwas über die Vergiftung Nawalnys, geht aus einer Umfrage hervor, die das Lewada-Institut Ende des Jahres durchgeführt hatte. Ein Drittel der Befragten halten den Vorfall für eine Selbstinszenierung des Oppositionellen, 19 Prozent glauben an eine Provokation westlicher Geheimdienste. Nur 15 Prozent meinen, der Kreml habe versucht, einen Opponenten aus dem Weg zu räumen. Die Erzählung des Kremls über den Fall Nawalny funktioniert gut in der russischen Öffentlichkeit.

Enthüllungen über einen Palast Putins

Doch verlassen will sich Wladimir Putin darauf offensichtlich nicht. In Russland wird im Herbst das Parlament, die Duma, gewählt. Vor allem in der Provinz wächst, unabhängig vom Fall Nawalny, die Unzufriedenheit mit dem Management der lokalen und regionalen Vertreter der Staatsmacht, wenn es um die wirtschaftliche Krise, den Kampf gegen die Coronapandemie oder alltäglicher lokaler Probleme geht. Das zentrale Thema Nawalnys, die endemische Korruption der Eliten in Moskau, spielt dagegen für die meisten kaum eine Rolle, haben Umfragen ergeben. Also droht dem Kreml auch von der jüngsten Veröffentlichung der Nawalny-Stiftung womöglich kaum Gefahr. In einem zweistündigen Video wird einer der Putin-Paläste vorgestellt, der mehr als eine Milliarde Euro gekostet haben soll.

Putin-Kritiker Innosemzew meint dennoch, der Umgang mit Nawalny werde zum Signal für das dritte Jahrzehnts von Wladimir Putin an der Macht, die „repressiver wird, als die ersten beiden“. Der Kreml habe für die Russen „keine positive Erzählung mehr zur Legitimierung ihrer Macht“, ist Innosemzew überzeugt.

Im ersten Jahrzehnt konnte der Kreml mit dem Wirtschaftswachstum überzeugen, im zweiten setzte der Kreml vor allem nach der Krim-Annexion erfolgreich auf eine „imperiale Renaissance“.

Heutehegten die Russen weder die Illusion, sie könnten ihren Lebensniveau behalten, noch seien sie von „russischer Größe“ zu überzeugen. Deshalb werde der Kreml, sagt Innosemzew, vor der Duma-Wahl seinen Druck auf die Unzufriedenen erhöhen.

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