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Politik: "Der Krieg im Kosovo ist noch nicht beendet"

Herr Minister, ist der Krieg zu Ende?Nein.

Herr Minister, ist der Krieg zu Ende?

Nein. Nur die militärische Auseinandersetzung. Die Gewalt leider noch nicht. Man kann sie immer stärker eindämmen, aber Frieden herrscht erst, wenn Aussöhnung Platz greift, wenn dauerhafte Stabilität und Sicherheit eingekehrt sind.

Milosevic behauptet, in fast drei Monaten Krieg habe die Nato nur 13 serbische Panzer beschädigt. Stimmt das?

Das ist derselbe Mann, der gesagt hat, er habe rund 60 Nato-Flugzeuge abschießen lassen. Wir wissen, daß im Kosovo mehr als 200 serbische Panzer und Artillerie-Stellungen zerstört wurden.

Gibt es im Kosovo eine ethnische Säuberung in die andere Richtung?

Das nicht, aber daß die serbisch-stämmige Bevölkerung das Kosovo verläßt, hängt mit jahrelanger Propaganda gegen die Nato zusammen. Man sollte nicht von vornherein Vertrauen in die KFOR erwarten. Aber das wächst, denn wir wollen und werden Menschen schützen, unabhängig von ihrer Herkunft.

Noch hapert es mit der Eindämmung der Gewalt. Muß KFOR schneller einrücken?

Vor allem müssen der Aufbau ziviler Strukturen und der Aufbau von Polizeikräften schneller vorangehen. Zur Zeit übernimmt das Militär viele nichtmilitärische Aufgaben.

Kanzleramtsminister Bodo Hombach soll den Balkanpakt koordinieren. Hat der Kanzler Sie gefragt?

Wir haben engen Kontakt, aber Personalfragen, die meinen Zuständigkeitsbereich nicht berühren, kommentiere ich nicht.

Der Einsatz in Bosnien und im Kosovo bringt die Bundeswehr an ihre Grenze. Die SPD-Verteidigungspolitiker haben den Wehretat schon unter ihrem Vorgänger als "unterfinanziert" bezeichnet. Können Sie reinen Gewissens ihren Soldaten sagen: Wir haben genug Geld für unsere Aufgabe?

Wir werden diese Herausforderung gemeinsam anpacken. Ich verschweige nicht: Die Finanzplanung ist eine sehr große Belastung für die Bundeswehr. Um so wichtiger bleiben die Eckpfeiler der planerischen und sozialen Sicherheit für die Angehörigen der Bundeswehr. Seit November gibt es außerdem eine Fülle von Einzelentscheidungen zur Verbesserung von Wirtschaftlichkeit und Effizienz.

Das behebt nicht die Mängel bei der Ausrüstung.

Richtig. Die Europäer haben auf dem Balkan noch mal drastisch vor Augen geführt bekommen, daß sie im Bereich des strategischen Lufttransportes, der Aufklärung und im Bereich moderner Führung von Streitkräften Defizite haben. Die müssen abgebaut werden.

Woher nehmen und nicht stehlen?

In den letzten Jahren ist die Bundeswehr halbiert worden, das gilt auch für die finanziellen Mittel. Bei diesen quantitativen Reduzierungen sind die qualitativen Herausforderungen in den Hintergrund getreten. Das wird sich ändern. Das kann man in den Haushaltsentscheidungen sehen. Die zusätzlichen Anstrengungen für unser internationales Engagement werden extra ausgewiesen und nicht mehr aus dem Etat des Verteidigungsministers erwirtschaftet.

Sie brauchen eine neues großes Transportflugzeug und einen Aufklärungssatelliten. Die werden, weil es internationale Vorhaben sind, aus dem allgemeinen Haushalt bezahlt?

Das bedarf gesonderter Entscheidungen, einschließlich der Finanzierung.

Aber Sie hoffen. Der Eurofighter 2000 ist jedoch auch eine internationale Kooperation und wird gleichwohl aus dem Verteidigungsetat finanziert.

Das werden wir von Fall zu Fall besprechen

Werden Sie drängen, daß die vertagte Frage Transportflugzeug und Satellit in Europa wieder auf den Tisch kommt?

Das ist schon der Fall. Die Bundesregierung wird das Thema Aufklärung konsequent verfolgen. Die Entscheidung über die Nachfolge der Transall, eines über 30 Jahre alten Transportflugzeuges, muß in diesem Jahr, spätestens im ersten Halbjahr 2000 getroffen werden. Sonst könnten wir in überschaubarer Zeit ohne Transportmöglichkeit dastehen. Das wäre nicht nur unverantwortlich angesichts der Einsätze auf dem Balkan, sondern wir wären dann auch unfähig, Hilfsflüge wie kürzlich in den Sudan zu übernehmen.

So viel zu den noch nicht finanzierten Neuanschaffungen. Haben Sie Probleme, bereits eingegangene Beschaffungsverpflichtungen zu bezahlen?

Zur Zeit nicht.

Aber?

Der Rest hängt an den Einzelentscheidungen, die wir noch treffen müssen. Da bin ich guten Mutes.

Wenn ein Politiker sagt: Zur Zeit nicht, verstehen Journalisten: aber bald. Kann die Bundeswehr demnächst die ein oder andere Rechnung nicht bezahlen?

Nein. Aber wir wollen die Fähigkeiten behalten, die die Bundesrepublik Deutschland im Interesse ihrer außenpolitischen Reputation und Handlungsfähigkeit braucht.

Müssen den Bundeswehr-Standorte geschlossen werden?

Im Zuge der Halbierung der Bundeswehr und des Finanzaufwandes sind mehrere 10 000 Hektar Gelände abgegeben und eine große Zahl von Standorten aufgelöst worden. Zur Bewältigung der finanziellen Probleme trägt das wenig bei, wenn anderswo neu investiert werden muß.

Also keine weiteren Schließungen?

Wir werden uns insbesondere kleine Standorte unter wirtschaftlichem Gesichtspunkt anschauen müssen.

Ihre These "Schließung spart nicht" stimmt nur, solange es bei der gleichen Zahl von Soldaten bleibt. Schließen Sie aus, daß die Bundeswehr verkleinert wird?

Ich schließe aus, daß hopplahopp Entscheidungen getroffen werden. Meine Entscheidungen werden gründlich vorbereitet, rasch getroffen und konsequent vollzogen. Andernfalls entsteht Nachbesserungsbedarf. Das möchte ich nicht, wie Sie sicher verstehen.

Also darf journalistisch zusammengefaßt werden: Scharping schließt Verkleinerung der Bundeswehr nicht aus?

Die Unterwerfung beginnt mit der Annahme der Fragestellung. Ich habe ein anderes Ziel: eine hochleistungsfähige und hochmoderne Bundeswehr. Dafür müssen auf vielen einzelnen Feldern Entscheidungen getroffen werden. Das Denken in ausschließlich quantitativen Kategorien führt nicht weiter. Grundlage bleibt gemeinsame Sicherheit im Bündnis und für Deutschland. Dazu müssen die Fähigkeiten vorhanden sein. Es ist völlig unbestritten, daß die Dringlichkeit der Landesverteidigung abgenommen hat. Ebenso ist unbestreitbar, daß die Dringlichkeit einer schnelleren Reaktion auf Krisen deutlich zugenommen hat.

Themenwechsel: Gibt es einen Dissens zwischen Außenministerium und Verteidigungsministerium bezüglich Waffenlieferungen an die Türkei?

Die Zusammenarbeit zwischen Außenministerium und Verteidigungsministerium ist anders als in der früheren Regierung ebenso ausgezeichnet wie die Zusammenarbeit zwischen den beiden Ministern.

Dann ist es eine Ente, daß das Verteidigungsministerium nichts gegen einen Waffendeal mit der Türkei hätte, und das Auswärtige Amt . . .

Das ist nicht nur eine Ente. Das ist einfach gelogen.

Sie sind also dagegen?

Habe ich mich etwa nicht klar genug ausgedrückt?

Zum Schluß zur Innenpolitik im engeren Sinne. Gerhard Schröder hat bei der Mitteilung, daß Sie nicht zur Nato gehen, gesagt, er brauche Sie nicht nur in der Regierung, sondern auch in der Partei. Der Vorsitzende soll durch Delegierung von Aufgaben unter den stellvertretenden Vorsitzenden entlastet werden. Werden Sie Geschäftsführender SPD-Chef?

Nein, so etwas wird es nicht geben. Im übrigen ist es ja durchaus ehrenvoll, wenn man für fähig gehalten wird, Nato-Generalsekretär zu werden.

Stimmt. Aber wie soll das denn laufen in der Partei? Wer wird dann denn die Nummer zwei - Franz Müntefering?

Der Bundeskanzler wird als Vorsitzender fünf gute Stellvertreter brauchen. In einer Partei wie der SPD in Hierarchien zu denken, ist unmodern.

Gehört das nicht zur Parteigeschichte?

Ja? Weiß ich nicht.

Zumindest von August Bebel bis zu Hans-Jochen Vogel war das so.

Es ist auch noch heute so, daß wir eine klare Nummer eins haben. Wenn man Teamarbeit mit klarer Führung verbindet, dann entsteht daraus gemeinsame Verantwortung und das ist Grundlage für unseren Erfolg und Deutschlands Zukunft.

Also keine 2a unter den fünf zweiten?

Das sind kindische Vordergründigkeiten. Entscheidend ist, daß die SPD wirtschaftliche Leistungsfähigkeit, soziale Verantwortung und kluge Vorsorge für die Zukunft miteinander verbindet.

Wenn Sie das berühmte Schröder-Blair-Papier lesen - finden Sie die Welt manchmal ungerecht? Keiner erinnert in der Berichterstattung daran, daß der Kanzlerkandidat Scharping etwa in einer damals vielbeachteten Rede in Tutzing ebenfalls einen solchen Kurs vorgegeben hat?

Das öffentliche Gedächtnis ist manchmal kurz, wobei das angesichts der reichhaltigen Archive des deutschen Journalismus erstaunlich ist. Aber es sollte niemandem schwerfallen, zum Beispiel im Wahlmanifest der europäischen Sozialdemokraten oder im Wahlprogramm der deutschen Sozialdemokraten vom September des Jahres 1998 all das wiederzufinden, was jetzt zu gewissen Aufregungen geführt hat.

Bis vor kurzem gab es ein Dreamteam: Oskar Lafontaine und Gerhard Schröder. Die beiden haben einmal gemeinsam den Vorsitzenden Rudolf Scharping gestürzt. Nun sagt Gerd: Ich brauche Rudolf. Ein neues Traumduo. Reiben Sie sich die Augen, wenn Sie diese Entwicklung betrachten?

Ich ziehe daraus nur eine Erfahrung: Je sicherer man in der Sache ist, um so weniger braucht man die öffentliche Demonstration.

Sie arbeiten vertrauensvoll mit dem Bundeskanzler zusammen?

Ich habe mit Gerhard Schröder mehrfach über Entwicklungen gesprochen, die mit der Zukunft unseres Landes und mit der Zukunft unserer Partei zu tun haben. Verallgemeinert: Wir hatten in den Jahren von 1990 bis heute zu viele Vorsitzende, zu wenig kontinuierlichen Aufbau von politischen Positionen und politischem Führungspersonal. Es muß uns jetzt gelingen, die erreichte machtpolitische Stärke konzeptionell zu nutzen für die Zukunft des Landes.

Macht Sie auch die Tatsache so gelassen, daß Sie jünger sind als Gerhard Schröder?

Nein. Ich will nicht übertreiben, aber wenn man nach politischen Niederlagen, wie ich, noch einen Unfall hat und auf der Intensivstation etwas erfährt von der papierdünnen Grenze zwischen Leben und Tod - dann verändert das den Blick aufs Leben.

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