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Alexander Hug ist stellvertretender Leiter der OSZE-Beobachtermission in der Ukraine.

© Robert Ghement/picture alliance / dpa

Der Krieg in der Ukraine: Vize-Chef der OSZE-Beobachter: "Zone der Gefahr“ in der Ostukraine

Der Vize-Chef der OSZE-Beobachter in der Ukraine, Alexander Hug, über zunehmende Kämpfe im Donbass, verschwundene Waffen und russische Soldaten.

Die vor einem Jahr vereinbarte Waffenruhe in der Ostukraine, wo Separatisten mit russischer Unterstützung gegen die ukrainische Armee kämpfen, wird immer wieder gebrochen. Wie ist die Lage vor Ort?
Die OSZE-Beobachtermission sieht seit Februar vergangenen Jahres, dass die Waffenruhe nicht hält, besonders nicht auf der Donezker Seite der Sicherheitszone. Die Kämpfe konzentrieren sich auf bestimmte Gegenden, zum Beispiel das Gebiet um den Flughafen Donezk. In diesen Gegenden beobachten wir, dass sich beide Seiten gefährlich nahe kommen. Wenn die eine Seite vorrückt, bewegt sich auch die andere vorwärts. Dort, wo beide Seiten anfangs zwei Kilometer voneinander entfernt waren, sind es jetzt nur noch einige hundert, vielleicht nur 50 Meter.

Das Risiko neuer Kämpfe wird also noch größer?
Es braucht sehr wenig, bis die Situation explodiert. Die Gegner befinden sich nun in direkter Reichweite ihrer Waffen. In Minsk haben sich beide Seiten verpflichtet, eine Sicherheitszone von 15 Kilometern auf jeder Seite der Kontaktlinie zu schaffen, also ein 30 Kilometer breites Gebiet. Diese Zone ist zwar nicht demilitarisiert, aber schwere Waffen sind darin nicht erlaubt. Sie soll eine Sicherheitszone sein, ist allerdings jetzt das Gegenteil: eine Zone der Gefahr. Zumindest bis jetzt gab es keinen strategischen Vorstoß. Beide Seiten überqueren die Kontaktlinie nicht, auf dem Papier waren die Gebiete schon unter der Kontrolle der jeweiligen Seite, die nun dort vorrückt. Beide Seiten schließen jetzt allerdings zur Kontaktlinie auf, was ein Verstoß gegen das Minsker Abkommen ist.

Wie kommt der Abzug schwerer Waffen voran?
Minsk hat das positive Ergebnis gezeigt, dass die Kämpfe nun überwiegend mit kleineren Waffen geführt werden. Die Opferzahlen sind deshalb signifikant gesunken. Allerdings werden auch immer noch schwere Waffen eingesetzt, die hätten abgezogen werden müssen. Das nimmt seit etwa einem Monat zu.

Heißt das, die bereits abgezogenen Waffen werden zurückgebracht?
Auf beiden Seiten sind etwa 30 Prozent der bereits abgezogenen schweren Waffen aus ihren Lagern verschwunden. Einige davon tauchen in der Sicherheitszone wieder auf, wo sie nicht sein dürften. Und wir registrieren auch den Einsatz dieser Waffen. Das ist ein gefährlicher negativer Trend. Im vergangenen Monat ist die Hemmschwelle gesunken, schwere Waffen zu benutzen.

Was können Sie über die Präsenz russischer Soldaten in der Ostukraine sagen?
Durch unser Mandat können wir in unseren Berichten nur wiedergeben, was wir hören und sehen, nicht das, was wir denken. Wir berichten Fakten, andere müssen daraus Schlussfolgerungen ziehen. Wir haben von Anfang an Personen gesehen, die Hoheitszeichen der Russischen Föderation tragen. Wir haben bestimmte Waffentypen in der Ostukraine registriert und viele Waffenbewegungen von Ost nach West beobachtet. Außerdem haben wir Spuren von Militärfahrzeugen gesehen, die über die Grenze gefahren sind. Und wir haben Personen interviewt, die sagten, sie seien aus Russland. Einige von ihnen haben uns gesagt, dass sie mit einer russischen Einheit in der Ukraine kämpfen. Wir haben auch Fahrzeuge mit russischen Nummernschildern beobachtet, aus denen bewaffnete Männer ausstiegen, und zwar viele Male.

Ist es richtig, dass die Kämpfe in der Ostukraine stärker werden, wenn auf politischer Ebene Gespräche über die Umsetzung des Minsker Abkommens anstehen?
Wir sehen tatsächlich manchmal vor diesen Treffen einen Anstieg der Verletzungen der Waffenruhe. Man muss sagen, dass die Kämpfe nicht unvermeidlich sind. Ich war schon viele Male an Orten, an denen zuvor stark gekämpft wurde. Während ich dort war, wurde nicht ein Schuss abgefeuert. Das zeigt, dass es keine Probleme gibt, die Kämpfe unter Kontrolle zu halten.

Vor einem Jahr haben Sie beklagt, dass die OSZE-Beobachter nur eingeschränkt Zugang zu den Gebieten an der Frontlinie haben. Hat sich da etwas verbessert?
Die Situation hat sich in den von der ukrainischen Regierung kontrollierten Gebieten verbessert. Jetzt gibt es dort fast keine Einschränkungen mehr, anders als in den nicht von der Regierung kontrollierten Gebieten. Oft werden wir mit vorgehaltener Waffe gestoppt und bedroht. Auch zu der nicht von der Regierung kontrollierten Grenze zu Russland haben wir in vielen Fällen nur unter Bedingungen Zugang: Wir müssen vorab sagen, dass wir dorthin wollen, oder 500 Meter Abstand halten. Wenn wir irgendwo nicht hingehen dürfen, bedeutet das, dass jemand nicht will, dass wir sehen, was dort passiert.

Ist es überhaupt möglich, angesichts der Kämpfe in der Ostukraine Lokalwahlen abzuhalten?
Wir dürfen nicht in die Falle tappen, über nichts anderes als die Sicherheit zu reden. Das wollen vielleicht einige erreichen. Aber wir sollten beide Seiten aufrufen, alle Punkte der Minsker Vereinbarung zu diskutieren und nicht unter dem Vorwand der Sicherheitslage gar nichts zu tun.

Was kann die internationale Gemeinschaft aus Ihren Erfahrungen in der Ukraine für andere Konflikte lernen?
Der Einsatz hat bewiesen, dass eine zivile, unbewaffnete Beobachtermission in einer bewaffneten Umgebung arbeiten und objektive Informationen liefern kann. Wir sind die Augen und Ohren der internationalen Gemeinschaft.

Alexander Hug ist seit 2014 stellvertretender Leiter der OSZE-Beobachtermission in der Ukraine. Der Jurist und Offizier aus der Schweiz war zuvor bereits für die OSZE im Kosovo.

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