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Die Freiheitsstatue von New York

© Peter Foley/epa/dpa

Der Liberalismus ist tot – zum Glück!: Patrick J. Deneens radikale Kritik der Freiheit

Es gibt konservativen und progressiven Liberalismus. Beide haben uns in eine Krise geführt. In seinem Buch rechnet Patrick J. Deneen mit der Gegenwart ab.

Dies ist ein radikales, ein verstörendes Buch. Es richtet sich gegen links wie rechts. In erster Linie aber ist es eine Abrechnung mit der Idee der Freiheit. Der Liberalismus hat sich zu Tode gesiegt, behauptet der amerikanische Politikwissenschaftler Patrick J. Deneen, der an der „University of Notre Dame“ im US-Bundesstaat Indiana unterrichtet.

Seine These: Der Liberalismus hat die Menschen ort- und bindungslos gemacht. Er hat sie vereinsamt und anfällig werden lassen für illiberale Autokraten vom Schlage eines Donald Trump. Er hat ihre Gier befördert und ihre Abkehr von Tradition und humanistischer Bildung. Er hat eine verantwortungslose Elite geschaffen, die die weltweite Finanz- und Wirtschaftskrise verursacht hat, die Klima- und Umweltkrise und die moralische Krise einer Gesellschaft, „in der persönliche Bindungen wie etwa die familiären leicht aus den Fugen geraten und durch Therapie- oder Sozialprogramme ersetzt werden“.

Der Autor ist bewandert in Philosophiegeschichte, er kennt die Schriften der amerikanischen Gründerväter. Mitunter sind seine Ausführungen zwar etwas redundant und auch langatmig, das aber verzögert den Lesefluss nur unwesentlich. Am Anfang der liberalen Idee standen Thomas Hobbes, John Locke und John Stuart Mill. Die Verheißung der Freiheit ging einher mit dem Gebrauch der Vernunft und dem Aufsprengen sozialer Ketten. Unterdrückung und Ungleichheit sollten verschwinden, Monarchie und Aristokratie überwunden werden, Wohlstand und Technik den Fortschritt und das wirtschaftliche Wachstum sichern. Der Mensch sollte frei sein von etablierter Autorität, tradierten kulturellen Normen und Beschränkungen seines Herrschaftsanspruches über die Natur.

Die linken Liberalen wollen persönliche und sexuelle Freiheiten vergrößern

Im Einklang mit den meisten Politikwissenschaftlern unterscheidet Deneen einen „konservativen“, manchmal auch klassisch genannten Liberalismus von einem progressiven, „linken“ Liberalismus. Die Anhänger der konservativen Richtung feiern den freien Markt, die Deregulierung, die Globalisierung und die Wahrung „gigantischer ökonomischer Ungleichheit“. Sie plädieren für eine Ausweitung der menschlichen Kontrolle über die Natur und deren Ressourcen. Die linken Liberalen wollen persönliche und sexuelle Freiheiten vergrößern, Einkommensungleichheiten abbauen und Diskriminierungen aller Art bekämpfen. Beide Richtungen sind, Deneen zufolge, ein Teil jener Kraft, die zwar das Gute will, doch meist das Böse schafft.

Die Logik und Funktionsweise des linken Liberalismus führte zur „Lockerung der sozialen Bindungen in fast allen Lebensbereichen – familiär, nachbarschaftlich, kommunal, religiös, ja sogar national“. Die konservativen Liberalen wiederum tendieren im Namen von Fortschritt und Rationalismus dazu, „alles, was besonders ist, der Logik der Marktdynamik zu unterwerfen und so die lokalen Ressourcen auszubeuten und lokale Sitten und Traditionen aktiv anzufeinden“.

Allerdings erliegen die Vertreter beider Varianten des Liberalismus, laut Deneen, derselben Illusion und Allmachtsphantasie: „Das menschliche Verlangen ist unersättlich, und die Welt ist begrenzt. Deshalb können wir nicht wirklich frei im modernen Sinne sein. Die Erfüllung unserer Wünsche wird uns niemals befriedigen, denn wir werden von unseren Begierden ewig getrieben sein. Und in unserem Streben nach Befriedigung unserer grenzenlosen Wünsche werden wir den Planeten sehr schnell erschöpfen.“

Zwischen „rauschhaften Freuden und nagenden Ängsten“

Das Ergebnis des diabolisch-dialektischen Zusammenspiels sowohl des konservativen als auch des linken Liberalismus sind atomisierte Individuen, deren Freiheit darin besteht, alle Traditionen, Bräuche und religiösen Überzeugungen über Bord zu werfen. Folglich pendeln sie zwischen „rauschhaften Freuden und nagenden Ängsten“, sie werden zu Leibeigenen gerade jener Entwicklung, die ihre Befreiung garantieren sollte.

An einigen Stellen schießt der Autor freilich über sein Ziel hinaus. Da treibt ihn seine Verachtung des Liberalismus zu verschwörungstheoretischen Formulierungen. So heißt es: „Rückendeckung erhält die liberale Ordnung durch die immer sichtbarer werdende Macht eines massiven ,Deep State‘ mit weitreichenden Befugnissen zu Überwachung, gesetzlichem Mandat, Polizeigewalt und Verwaltungskontrolle.“ Der Begriff des „tiefen Staates“ stammt in der Regel aus rechtspopulistischem Repertoire. Deneel hätte mühelos darauf verzichten können, zumal es ihm explizit um die Zurückweisung populistisch-nationalistischer Rhetorik als Antwort auf Wut und Angst eines liberalen Bürgertums geht.

Wiederbelebung des humanistischen Bildungsideals

Was tun? Diese Frage bleibt im Wesentlichen unbeantwortet. Der Autor plädiert für die Wiederbelebung des humanistischen Bildungsideals, für den Aufbau einer „Kultur inmitten einer Antikultur“, in der Werte wie Fürsorge, Geduld, Demut, Pietät, Bescheidenheit und Respekt neu eingeübt werden. Dazu zählen auch die Fähigkeiten „zu bauen, zu reparieren, zu kochen, anzupflanzen, zu konservieren und zu kompostieren“. Also mehr Anstand, Gemeinschaft und Wärme statt Konsum, Isolierung und Kälte. Wer wollte dem widersprechen?

Scharf in der Analyse, brillant in den historischen Bezügen, schwach im Aufzeigen von Alternativen: Deneen ist eine Gegenwartsdiagnose gelungen, die erhellend und deprimierend ist. Ihm entgeht kaum ein Merkmal unserer Alltagswelt – vom Science-Fiction-Genre über Einsamkeits-Ministerien bis zur Internet-Nutzung. Das Manuskript zu dem Buch war zwar drei Wochen vor der Wahl von Donald Trump zum US-Präsidenten fertig, es liest sich aber höchst aktuell. Über das liberale Ideal autonomer Individuen muss neu nachgedacht werden.
- Patrick J. Deneen: „Warum der Liberalismus gescheitert ist“. Aus dem Amerikanischen von Britta Schröder. Müry Salzmann Verlag, Salzburg/Wien 2019, 292 Seiten, 28 Euro.

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