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Politik: Der mächtige Tutsi setzt sich gegen den Hutu durch

Ruanda droht eine politische Krise, nachdem Staatspräsident Pasteur Bizimungu gestern seinen Rücktritt bekannt gegeben hat. Bizimungu ist ein Hutu, sein Widersacher galt schon lange als der starke Mann Ruandas: Vizepräsident Paul Kagame, ein Tutsi.

Ruanda droht eine politische Krise, nachdem Staatspräsident Pasteur Bizimungu gestern seinen Rücktritt bekannt gegeben hat. Bizimungu ist ein Hutu, sein Widersacher galt schon lange als der starke Mann Ruandas: Vizepräsident Paul Kagame, ein Tutsi. Kommissarisch hat er nun die Amtsgeschäfte übernommen. Ein Sprecher der herrschenden "Ruandischen Patriotischen Front" (RPF) erklärte am Freitagmorgen, es sei nicht auszuschließen, dass Kagame auch der Nachfolger von Bizimungu werde. Dann hat er wirklich alle Macht im Staat.

Der Völkermord vor sechs Jahren in Ruanda lastet immer noch schwer auf dem kleinen ostafrikanischen Land. 500 000 bis 800 000 Tutsi und gemäßigte Hutu sind damals von Hutu-Milizen ermordet worden, bis die von Uganda einmarschierende Tutsi-Armee unter Paul Kagame dem Treiben ein Ende bereitete. Seitdem sind die politischen Gewichte im Staate fein ausbalanciert und unter internationaler Hilfe in einem Abkommen in Arusha zementiert worden: Die Tutsi-Befreier, vereint in der RPF, erhalten eine bestimmte Ministeranzahl, für die Hutu-Partei "Demokratische Bewegung und Republikaner" und für zwei andere Parteien sind ebenfalls eine feste Anzahl Sitze reserviert worden.

Diese Machtbalance war in den letzten Wochen erheblich gestört worden, und als Drahtzieher gilt der RPF-Vorsitzende Paul Kagame, der seine RPF-Minister wie Schachfiguren versetzte. Erst wurde der mit Bizimungu befreundete Minister des Präsidialamtes abgelöst. Dann wurde der Premierminister ersetzt durch Bernard Makusa, der vor wenigen Tagen sein Kabinett umbildete und zu Lasten der Hutu-Minister von der MPR mehr Tutsi-Minister von der RPF aufnahm - eine klare Verletzung des Arusha-Papieres. Die Krise war da. Schon am Dienstag drohte Präsident Bizimungu im Parlament mit seinem Rücktritt, wenn das von der RPF dominierte Abgeordnetenhaus nicht aufhöre, die Staatsgewalt zu stören.

Dass Paul Kagame nicht schon immer der Staatspräsident im Lande war, ist für viele Besucher Ruandas zunächst einmal ein Rätsel. Der hochgewachsene, schlanke Tutsi mit den feinen Gesichtszügen ist derjenige Politiker Ruandas, der das Land innen- und aussenpolitisch vertritt. Sowohl in den nationalen als auch internationalen Medien war Vizepräsident Kagame stets als erster Sprecher seines Landes behandelt worden, Bizimungu spielte eine Nebenrolle. Aus Rücksicht auf die Hutu-Mehrheit in Ruanda war ein Präsidentenamt für den Tutsi Kagame im Volke nicht durchsetzbar.

Wie stark Kagame sich fühlt, kann ein Vorfall bei der Vereidigung des jüngsten Kabinetts zeigen. Alle Minister müssen ihre Treuepflicht gegenüber dem Präsidenten bezeugen, nur Minister Kagame blieb dem Zeremoniell fern, ein klarer Affront gegenüber dem Noch-Präsidenten Bizimungu.

Der jetzt Zurückgetretene war nach dem Genozid im Juli 1994 ins Präsidentenamt gekommen. Bizimungu, Jahrgang 1950, war einer der wenigen Hutu, die sich schon früh auf Seiten der Tutsi-Armee FPR geschlagen hatten und nach Uganda gingen, nach dem Völkermord war ihm dies mit dem Präsidentenamt und dem Vizevorsitz für die RPF belohnt worden. Das Verhalten seines Ex-Kameraden Kagame zuletzt bei der Kabinettsvereidigung muss Bizimungu tief empört haben. In einer gestern verbreiteten Erklärung begründete er seinen Rücktritt mit "persönlichen Gründen". Der Tutsi Kagame und der Hutu Bizimungu an der Staatsspitze standen als Symbol für die nationale Einheit, die in Ruanda seit dem Genozid beschworen wird. Seit gestern ist das Symbol zerbrochen.

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