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Immer noch ein Traum. Ein Afroamerikaner protestiert vor dem Martin-Luther-King-Denkmal in der US-Hauptstadt Washington für seine Rechte. Wie er empfinden viele, dass sich die Situation für sie eher verschlechtert als verbessert habe. Foto: Jewel Samad/AFP

© AFP

Politik: Der Marsch geht weiter

Bei der Rede zum Gedenken an Martin Luther King prangert US-Präsident Obama Ungerechtigkeiten gegenüber der schwarzen Bevölkerung an und fordert gleiche Chancen für alle.

Washington - Seit dem frühen Morgen sind sie hier her geströmt, schwarz und weiß, vorbei an zahlreichen Straßensperrungen und kontrolliert in langen Schlangen an den Einlasskontrollen. Einige haben sich Campingstühle mitgebracht. Viele tragen die T-Shirts „I was there“, ich war da, mit den Bildern von Barack Obama und Martin Luther King jr. Und obwohl es, anders als an jenem Mittwoch vor 50 Jahren, als Hitze und strahlend blauer Himmel über Washington lagen, regnet, haben sich auf der Mall im Zentrum der amerikanischen Hauptstadt Tausende, vielleicht Zehntausende versammelt, den Blick auf das Lincoln Memorial am westlichen Ende des Grünstreifens gerichtet. Zur Feier „eines der wichtigsten Tage in der amerikanischen Geschichte“, wie der ehemalige US-Präsident Bill Clinton später sagen wird, liegt eine feierliche Atmosphäre über der Mall.

Kurz nach 14 Uhr ertönt die Nationalhymne. Es wird still. Dann folgen Reden von Zeitzeugen. Um 15 Uhr schlägt in einem ergreifenden Moment ein kleines schwarzes Mädchen die große Kirchenglocke, die auf der Tribüne aufgebaut ist, um dem Tag vor einem halben Jahrhundert zu gedenken, der als der Anfang vom Ende der Rassentrennung in den USA in die Geschichte eingegangen ist. Und wie vor 50 Jahren tritt dann, begleitet vom Jubel auf den Wiesen, ein schwarzer Mann ans Mikrophon auf den Stufen des Lincoln-Memorials, die sitzende Steinfigur jenes Mannes, der vor 150 Jahren aus den Sklaven in den Vereinigten Staaten freie Menschen gemacht hatte, im Rücken. Und wie damals, als am 28. August 1963 Martin Luther King die unvollendete Befreiung der Schwarzen angeklagt hatte, spricht auch US-Präsident Barack Obama von dem, was noch erkämpft werden muss.

Allerdings mahnt der US-Präsident zunächst all jene, die meinen, es habe sich nichts verändert. Heute, weil die Bürgerrechtler damals marschiert waren, so Obama, „hat sich Amerika verändert“. Türen hätten sich geöffnet, auch zur Bildung, so dass die Söhne und Töchter deren von damals ein anderes Leben leben konnten, „als anderer Leute Wäsche zu waschen“. Weil sie marschiert sind, sei Amerika „freier und fairer“ geworden - „nicht nur für Schwarze, sondern auch für Frauen und Latinos, Asiaten, Native Americans, für Katholiken, Juden und Muslime, für Schwule und Amerikaner mit Behinderungen“. „Auch das Weiße Haus hat sich verändert“, sagt der erste schwarze Präsident der USA. Wer das negiere, „entehrt auch diese Helden“.

Nervös hatten die Redenschreiber des Präsidenten an den Vorlagen gefeilt. Obama hatte in Vorbereitung des Tages Bürgerrechtsvertreter im Weißen Haus versammelt. Er hat Glaubensmänner konsultiert und er hat mit Bürgerrechtlern von damals gesprochen. Die Herausforderung für den US-Präsidenten war groß: Nicht zum ersten mal wollte und musste er sich an den beiden berühmten Männer Abraham Lincoln und Martin Luther King jr. und deren Kampf für Gerechtigkeit anlehnen, ohne aber wie eine schlechte Kopie auf den berühmten Stufen vor dem Spiegelbecken an der Mall zu wirken. Das Land wartete gespannt, welche Botschaft dieser Barack Obama, der nie der Präsident einer Hautfarbe sein wollte, am Mittwoch aussenden würde.

Jetzt spricht er von den Ungerechtigkeiten gegenüber der schwarzen Bevölkerung. Vor allem aber richtet er den Blick darauf, dass alle, ungeachtet ihrer Hautfarbe, das Recht haben sollten auf einen angemessenen Lohn, faire Arbeitsbedingungen, leistbare Mieten, auf eine gute Gesundheitsfürsorge und auf soziale Absicherung. „Das haben wir nicht erreicht. Das ist unser unvollendeter Auftrag.“

Obama hat den Kampf um soziale Verbesserungen für die ärmeren Bürger wie für die Mittelklasse ins Zentrum seiner Präsidentschaft gestellt. Seit Wochen tourt er das Land und wirbt für finanzielle Hilfen im Studium, diskutiert über die Konditionen auf dem Wohnungsmarkt und streitet mit den Republikanern über die Gesundheitsreform. Schon vor seinem Auftritt am Lincoln-Memorial war klar, dass genau das Obamas ganz eigene Definition dessen sein würde, wie der Traum eines Martin Luther King einst wahr werden könnte.

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