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Politik: Der Mensch als Abgrund

DAS FOLTERVERBOT

Von Hellmuth Karasek

Zwischen der Anwendung, der Billigung, ja auch nur der Duldung der Folter und ihrer Ächtung, ihrem strikten Verbot – genau dazwischen verläuft die notwendige Scheidelinie zwischen Menschen gerechter Zivilisation und Barbarei. Die Scheidelinie zwischen Mittelalter und aufgeklärter Neuzeit. Und die zwischen menschenverachtender Willkür und der Rechtsstaatlichkeit, die auf der Demokratie fußt.

Man muss sich nur daran erinnern, dass Galileo Galilei nur durch Androhung der Folter an der Schwelle der Neuzeit zum Widerruf der kopernikanischen Wende in der Welterkenntnis genötigt wurde. Und man muss, in Deutschland, nur daran denken, dass hier noch im 20. Jahrhundert mit staatlicher Tolerierung, ja staatlicher Aufforderung gefoltert wurde: in den Kellern der Gestapo und den Konzentrationslagern ebenso wie in der DDR – obwohl das unsere "Schwammdrüber"-Mentalität gerne vergessen und begraben sein lassen will. Hier soll es nur so viel besagen: Wir sind anfällig, sind zumindest die Kinder gebrannter Kinder.

Umso erschreckender ist: In Frankfurt ist es bei den Ermittlungen im Entführungs- und (wie sich herausstellen sollte) Mordfall des Bankierssohns Jakob von Metzler bei der Vernehmung des Täters zu Folterandrohungen gekommen. Erschreckender noch: Die Frankfurter Polizei hat in fehlendem Unrechtsbewusstsein und im Glauben, mit der Verhältnismäßigkeit der Mittel – Notwehr, Nothilfe – gehandelt zu haben, diese Folterandrohung rechtskräftig gemacht. Und am erschreckendsten: In Deutschland ist daraufhin eine öffentliche Diskussion entbrannt, in der Minister und Ministerpräsidenten, Richter und hohe Anwälte die Folter und ihre Androhung im Ausnahmefall als Norm in der Abweichung von der Norm zu rechtfertigen suchten.

Das ist erschreckend – wenn auch verständlich, ja nachvollziehbar. So grauenhafte Taten wie eine Kindesentführung, bei der Mord kaltblütig berechnend eingeplant wird, wecken Gefühle und alte Ur-Instinkte von der Ohnmacht des Rechts und der Unvollkommenheit der Sühne. Hätte nicht jeder von uns, so suggeriert uns die Stimmung, genauso gehandelt, in der Hoffnung, das Kind zu retten, mit allen Mitteln? Not kennt kein Gebot!

In dem Wort "vermeintlich" besteht die Crux gerade in diesem Fall, ja so schrecklich es klingt, diese "Vermeintlichkeit" macht ihn zum Beispiel für die Richtigkeit des totalen Folter-Verbots. Denn als die Polizei dachte, nur das äußerste Mittel könnte das Leben des entführten Jungen retten, da war er in Wahrheit schon tot. Nur einen grausigen Schritt weiter gedacht: Wie, wenn auch noch der Falsche in die Fänge der Polizei geraten wäre? Ein Unschuldiger, der mit der Folter bedroht worden wäre? Absurd ist dieser Gedanke nicht, denn der verdächtige Magnus G. hatte der Polizei schon etliche Mittäter vorfabuliert.

So ist der Folter (ähnlich wie der Todesstrafe) schon auch aus praktischen Erwägungen zu widersprechen. Die Gefahr, dass sie einen "Falschen", einen zu Unrecht Verdächtigen trifft, diese Gefahr allein verbietet sie. Aber natürlich überwiegen die prinzipiellen Rechtserwägungen. Die Folter und ihre Androhung verstoßen gegen das Verfassungsgebot der Unverletzlichkeit der Menschenwürde, der Unschuldsvermutung und der Unversehrtheitsgarantie des Einzelnen.

Wir haben dem Staat – jedenfalls im Idealkonstrukt des Gesellschaftsvertrages – alle Gewaltanwendung und -androhung übertragen. Der Rechtsstaat hat dem Einzelnen im Gegenzug garantiert, dass er ihn vor aller Willkür in der Gewaltausübung schützen werde. Ohne Einschränkung.

In Georg Büchners "Danton" heißt es über das Verbrechen: "Jeder Mensch ist ein Abgrund". Gemeint ist nicht nur der gemeine Verbrecher, sondern, in diesem Revolutionsdrama, auch jeder Vertreter des Staates. Dessen Einschränkung durch das Folterverbot gilt ohne jede Einschränkung.

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