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Politik: Der Mittestürmer

Von Lorenz Maroldt

Fußball und Politik, da gibt es Parallelen. Der Mann, den sie beim TuS Talle einst Acker nannten, Gerhard Schröder also, der weiß das. Auch der Rausch, der die Sozialdemokraten gerade erfasst, hat einiges mit der Stimmung im Stadion gemein. Zehn Minuten sind noch zu spielen, die Heimmannschaft liegt eins zu fünf zurück, da gelingt dem Stürmer Acker nach peinlichen Fehlern der anderen Mannschaft, die auf Überheblichkeit im Überschwang des voreiligen Siegesgefühls und falsche Einwechslungen zurückzuführen sind, plötzlich ein Doppelschlag – Rückstand klar verkürzt, Gegner verunsichert, Anhänger euphorisiert: Da geht doch noch was!

Geht da noch was? Die Stimmung ist in solchen Situationen meistens besser als die Lage. Der Umschwung hat etwas Irrationales. Er setzt, unter anderem, ein großes Vergeben und Vergessen voraus. Die können es nicht, das war ein weithin geteiltes Urteil über Schröder und seinen Verein RotGrün Berlin. Handwerk: mangelhaft. Erschöpft, verstolpert, verschossen, und am Ende auch noch gegenseitig misstrauisch bis zur letzten Instanz – so stellte sich die Regierung eben noch dar. Entsprechend waren die Umfragewerte. Nicht einmal zu einer veränderten Aufstellung reichte die Kraft oder der Mut. Auf einmal aber läuft Schröder seiner Herausforderin lässig davon, auf einmal bezweifeln die Menschen die Kompetenz der Union auf entscheidenden Feldern, gewinnt die SPD von Woche zu Woche dazu. Was ist da passiert?

Wahlkämpfe, so heißt es, sind schwer zu gewinnen, aber leicht zu verlieren. Daran haben einige Parteifreunde Angela Merkel schmerzhaft erinnert. Als die Umfragewerte der Union zu bröckeln begannen, legte Edmund Stoiber die Latte auf anspruchsvolle 45 Prozent. Als Paul Kirchhof in Ministerwürde und -bürde immer unwahrscheinlicher wurde, erklärte Roland Koch dessen Ernennung zum Kabinettsmitglied zur ernsten Glaubwürdigkeitsprüfung. Als die Regierung in bester Oppositionsmanier Merkel der gesellschaftlichen Kälte zieh, zeigten bereits regierende Christdemokraten auf ihr eigenes soziales Herz – durchaus auch im bewussten Kontrast zur Kandidatin; sie selbst würden sagen: in Ergänzung, was die Sache aus Merkels Sicht kaum besser macht.

So lässt sich ein Vorsprung schwer verteidigen, wenn Acker Schröder plötzlich wieder stürmt. Er hat die Lücken in der Abwehr des Gegners erkannt. Und jetzt profitiert er von einem Mitnahmeeffekt. Zu verzagten Verlierern mag sich niemand gerne bekennen. Der Aufholjagd des Außenseiters aber fliegt die Sympathie der Ungebundenen zu, und die eigenen Leute lassen sich Punkt für Punkt mehr begeistern. So zu verlieren, kämpferisch, erhobenen Kopfes, etwas trotzig, etwas stolz, das ist für viele dann doch ganz okay, Antrieb genug, noch einmal Schröder zu wählen.

Schröder? Schröder. Die SPD schaut still staunend zu, wie ihr Kanzler alle doch eben noch so offenkundigen Widersprüche einfach über den Haufen rennt, die kompliziertesten Fragen stets reduziert auf ein paar simple Begriffe: die oder ich, kalt oder warm, schwarz oder rot, böse oder gut, Professor oder Pragmatismus. Während Merkel sich redlich mit Politik bemüht, spielt Schröder mit dem Ressentiment. Je komplizierter die Dinge, also Rentenformeln, Steuermodelle, desto leichter geht das. Das hat Schröder als Chance genutzt. Nur wenige in der SPD, die des Kanzlers Soloperformance ganz kurz mal stören, Klaus Wowereit etwa mit links-linken Visionen oder Hans Eichel mit Mehrwertsteuerfragen ohne Nährwert. Aber was wiegen schon Wowereit und Eichel im Vergleich zu Schröder? Jedenfalls weniger als Stoiber und Koch im Vergleich zu Merkel. Und so lautet sein Plan: Es spielt nicht Schröders SPD gegen Merkels Union, sondern Schröder allein gegen ein christdemokratisch-liberales, zunehmend atonales Streichorchester unter der bemühten Leitung von Angela Merkel.

Acker stürmt. Dabei geht es wohl nur noch um die Teilnahme am lästigen UI-Cup, also darum, als kleiner Partner in die große Koalition zu ziehen. Die Zeit wird knapp für Schröder. Noch fünf Tage. Plus Nachspielzeit in Dresden.

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