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Politik: Der Mörder als Mythos

Von Caroline Fetscher

Ein Tyrann ist tot. Zwar stand Slobodan Milosevic vier Jahre lang vor seinen Richtern, doch die werden kein Urteil mehr sprechen können. Stattdessen bleibt ein Zentner Akten mit Expertenberichten und mit Zeugenaussagen von Überlebenden. Es gibt genug Material für die Historiker – und kaum Genugtuung für die Opfer. Der Angeklagte Slobodan Milosevic, der im ehemaligen Jugoslawien tausendfachen Tod über andere brachte, hat sich mit dem eigenen Tod seiner Verurteilung durch ein internationales Tribunal entzogen. Ob absichtlich oder schlicht durch Herzversagen, das werden wir noch erfahren. Aber ganz gleich, wie er starb, schon ist klar, dass im Land des Angeklagten ein düsterer Rest an Lügen und Mythen fortgeschrieben werden wird. Lügen und Mythen waren sein Spezialgebiet zu Lebzeiten, jetzt stellt sein Ende einmal mehr welche her.

Am Tag der totalen Mondfinsternis im Juli des Jahres 2000 zogen Belgrader Jugendliche mit einem selbst gebastelten Teleskop auf die Straße. Vorn ans Objektiv hatten sie ein Foto des Staatschefs Milosevic montiert: So sah die Mondfinsternis aus, die sie sich wünschten. Im Slogan der jungen Oppositionellen fehlte sogar sein Name. „Gotov je“, Serbisch für: „Er ist fertig“. Das genügte. Wenige wagten zu träumen, dass Milosevic einmal tatsächlich in Den Haag landen würde. Erst als Zoran Djindjic, Serbiens neuer, couragierter Premierminister, seinen als Völkermörder gesuchten Vorgänger an das UN-Tribunal in den Niederlanden überstellen ließ, atmeten viele auf. Da würde er Rede und Antwort stehen müssen für die Gräueltaten von Sarajevo, Srebrenica, Vukovar, Foca, Keraterm, Gjakova und hunderten anderer Orte, deren Einwohner den „ethnischen Säuberungen“ für Milosevics „Großserbien“ zum Opfer fielen.

Allerdings freuten sich bei weitem nicht alle. In sämtlichen Winkeln des serbischen Staatsapparats überwinterten pathologische Relikte von Milosevics kriminellem Netzwerk. Gestern vor genau drei Jahren trafen Zoran Djindjic am Hofeingang zum serbischen Parlament die tödlichen Schüsse eben dieser Mafia, die jedem signalisieren sollten, dass mit dem Leben bezahlt, wer an ihr System rührt. Vehement hatte Vojislav Kostunica, Serbiens amtierender Präsident, zu Beginn seiner Amtszeit noch erklärt, das Tribunal sei antiserbisch. Obgleich er heute „volle Kooperation“ versichert, scheint es, als fürchte er das Los Zoran Djindjics, wenn er die Festnahme der Kriegsverbrecher Ratko Mladic und Radovan Karadzic wieder und wieder hinauszögert.

Dass in Serbien Boulevardblätter nun Schlagzeilen wie „Sie haben ihn ermordet!“ drucken, beweist, wie wenig sich ein Bewusstsein für Justiz, Transparenz, vergangene Schuld und demokratische Reform in der Gesellschaft durchgesetzt hat. Womöglich hat Slobodan Milosevic, fürchten manche Beobachter, tatsächlich Gift genommen, um seinen Tod dem Tribunal anlasten zu können. Es würde zu ihm passen. Das wäre sein letzter Coup, ganz im Sinne der Verschwörungstheorien seiner Anhänger.

Ein einziger Trost bleibt, einer, der immerhin für die Psyche der Opfer wichtig ist: Dieser Mann wird nie mehr zurückkommen. „Der Wolf ist tot, der Wolf ist tot!“, singen die sieben erleichterten Geißlein im Märchen. In der Wirklichkeit ist akuter Triumph über den Tod eines Tyrannen eher rar. Schon gar nicht, solange wir sehen: Wo die Mondfinsternis vorüber ist, scheint trotzdem noch keineswegs die volle Sonne der Aufklärung.

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