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DER NATIONALE INTEGRATIONSPLAN STEHT Leere Stühle am Tisch – gefeiert wird trotzdem: „Meine Hand bleibt ausgesteckt“

Merkel reagiert gelassen auf die Absage türkischer Verbände – eine Änderung des Zuwanderungsgesetzes schließt sie aus

Von Robert Birnbaum

Es hätte solch eine erfreuliche Veranstaltung für die Veranstalter werden können. Doch am Donnerstagmorgen prangt an den Zeitungskiosken in Berlin das türkische Massenblatt „Hürriyet“ mit einem Foto von Angela Merkel auf der ersten Seite und einer Schlagzeile, die man auch ohne türkische Sprachkenntnisse unschwer als „Ultimatum an Merkel“ übersetzen kann. Der Boykott der vier großen türkischen Verbände beschäftigt den zweiten Integrationsgipfel im Kanzleramt mehr, als es Merkel, ihrer Integrationsbeauftragten Maria Böhmer (CDU) und Justizministerin Brigitte Zypries als Vertreterin der SPD Recht ist. Um so entschlossener zeigt sich die Kanzlerin, dem Druck nicht nachzugeben. „Der Bundesregierung stellt man keine Ultimaten“, sagt Merkel.

Der Gipfel hat denn auch stattgefunden, inklusive zwölf türkischer Vertreter, die nicht die Großverbände repräsentieren. Dass auch Haydar Karatepe unter ihnen war, hat kurzzeitig sogar den Eindruck vermittelt, der Widerstand bröckele. Karatepe gehört dem Rat Türkischstämmiger Staatsbürger an, einer der vier Protestgruppen. Er ist aber zugleich Mitglied der Türkisch-Deutschen Gesundheitsstiftung. In dieser Eigenschaft ist er gekommen, in der anderen nicht.

Tatsächlich dreht sich der Zwist, den die Türken-Verbände mit der Regierung ausfechten, ja auch nur um einen sehr kleinen Teil des ehrgeizigen Integrationsprojekts. Kenan Kolat, Vorsitzender des Dachverbands der Türkischen Gemeinde in Deutschland, hat noch am Morgen als Demonstrant draußen vor dem Kanzleramt betont, mit „90 Prozent“ des Abschlussdokuments seien auch alle türkischen Verbände einverstanden. Merkels Würdigung am Nachmittag, der fast 200 Seiten starke Nationale Integrationsplan sei ein „Meilenstein“ in der Integrationspolitik, stößt infolgedessen auf wenig Widerspruch. 400 Selbstverpflichtungen aller Teilnehmer, 750 Millionen Euro zusätzlich vom Bund für Integrationsmaßnahmen, Aufstockung der Integrationskurse von 600 auf 900 im Jahr, mit speziellem Augenmerk auf Frauen, die „Motorinnen der Integration“, wie Böhmer mit dezentem Verweis auf das Frauen-Trio auf der Regierungsbank anmerkt – die Bilanz nach einem Jahr Gesprächsrunden ist so schlecht nicht. Auch wenn das Dokument gelegentlich ein bisschen Rosstäuscherei betreibt – der geplante Ausbau von Krippenplätzen kommt gewiss auch ausländischen Mitbürgern und Eingebürgerten zugute, aber Hilfe bei der Integration ist bestenfalls eine Nebenabsicht im Projekt der Familienministerin Ursula von der Leyen.

So weit, so gut. Bleibt der Boykott, der Böhmers Motto: „Wir reden nicht mehr über Migranten, wir reden mit ihnen“ ein wenig irritierend im Saal stehen lässt. Denn was soll nun werden, wenn die wichtigsten Vertreter jener Migrantengruppe fern bleiben, an deren Integration beide Seiten das größte Interesse haben? Dass deren Forderung erfüllt wird, das Zuwanderungsgesetz zu ändern, erscheint ausgeschlossen. Über das Thema sei zwar auch am Donnerstag in der Runde durchaus hart diskutiert worden, sagt Merkel. Aber sie verweist ebenso wie Zypries darauf, dass das Gesetz ein von Regierung, Bundestag und Bundesrat ausgehandelter Kompromiss sei. Übrigens einer, Merkel stellt das heraus, der auf den Vorgaben einer EU-Verordnung beruhe. Schon dort stehe etwas von „einfachen Sprachkenntnissen“.

Ohnehin erheben Merkel, Böhmer und Zypries mehrfach den Vorwurf, die Kritiker verbreiteten gezielt „Teilwahrheiten“ und schürten damit Ängste. Das Zuwanderungsgesetz eine Diskriminierung des Islam? „Das wäre ja glatt rechtswidrig“, sagt Merkel. Schikanen für Türkischstämmige noch nach der Einbürgerung? „Es gibt keinen Unterschied zwischen einem deutschen Hans und einem deutschen Mehmet“, widerspricht Böhmer.

Wie es weitergehen soll zwischen den Boykotteuren und der Regierung? „Meine Hand bleibt ausgestreckt“, sagt Merkel. Nur müsse die andere Seite selbst zugreifen. „Wenn die nächste Einladung kommt, einfach wieder kommen“, rät sie den Verbänden.

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