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Ein medizinischer Mitarbeiter sperrt ein Krankenhaus in China ab.

© dpa/Xinhua/Chen Yehua

Der Nationalismus schlägt voll durch: Jeder Staat kämpft für sich allein gegen das Coronavirus

Bei der Eindämmung des Coronavirus offenbart sich der Egoismus der Staaten. Gemeinsamkeit bleibt ein Lippenbekenntnis. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Christoph von Marschall

Manche Systeme lernen aus Krisen und nutzen sie zur Selbstkorrektur. Andere nicht. Das führt zu Widersprüchen in der Wechselbeziehung zwischen dem Coronavirus und der Globalisierung.

In manchen Gebieten wächst der Druck zu internationaler Arbeitsteilung, in anderen wird sie reduziert. Die Krise lehrt, zum Beispiel, dass Deutschland bei Schutzkleidung und Arzneimitteln zu abhängig von ausländischen Lieferanten ist. Wenn die nicht liefern, scheitert der Kampf gegen die Epidemie.

Das Virus konnte sich so schnell aus einer chinesischen Provinz rund um die Erde ausbreiten, weil Menschen, Staaten und Volkswirtschaften so eng wie nie zuvor vernetzt sind. Führt das auch zu globaler Kooperation bei seiner Eindämmung? Eher nein.

Weltgesundheitsorganisation, Weltbank und Internationaler Währungsfonds bieten überforderten Staaten zwar Hilfe an. Gemessen an der Reaktion auf die Finanzkrise sind Tempo und Absprache aber ernüchternd.

[Die aktuellen Entwicklungen zum Coronavirus in Deutschland und weltweit können Sie hier im Newsblog verfolgen.]

Bei der Finanzkrise gab es schnell einen internationalen Aktionsplan

2008 lagen zwei Monate zwischen der Pleite der Investmentbank Lehman Brothers und dem G-20-Gipfel, der einen internationalen Aktionsplan beschloss.

Der Ausbruch der Coronavirus-Epidemie in Wuhan liegt fast drei Monate zurück. Das Virus hat sich in 111 Länder verbreitet. Wo ist die international abgestimmte Gegenstrategie?

Beim Coronavirus denkt jeder Staat zuerst an sich. Die Einsicht, dass man die beiden großen Krisen dieser Zeit – Coronavirus und Massenflucht – nur gemeinsam überwinden könne, bleibt ein Lippenbekenntnis.

In der Praxis handeln die Regierungen national und egoistisch. Erwarten das nicht auch viele Bürger: mein Land zuerst? Da ist die deutsche Firma aus Rastatt, die Schutzkleidung in China herstellt, aber ihre Kunden in Deutschland nicht mehr bedienen kann, weil Peking die gesamte Produktion beschlagnahmt hat.

Der französische Präsident Emmanuel Macron konfisziert alle Atemmasken in Frankreich. Der deutsche Krisenstab verbietet die Ausfuhr der im Inland vorhandenen Schutzmasken.

Den Grundbedarf muss der Nationalstaat stellen

Wo ist da die gemeinsame Strategie? Und wo das internationale Gremium, das die Ressourcen, die der Menschheit zur Verfügung stehen, auflistet und überlegt, wo sie am dringendsten gebraucht werden, um die Epidemie unter Kontrolle zu bekommen? Eigentlich müssten alle dieses Ziel schon aus Eigeninteresse verfolgen.

Doch so funktionieren Nationalstaaten nicht. In Krisen erwartet der Bürger Abhilfe von der eigenen Regierung, nicht von einer anonymen Weltgemeinschaft.

Ob Lebensmittel, Wasser, Energie, Gesundheitsvorsorge: Den Grundbedarf muss der Nationalstaat sicherstellen. Das verlangt der Gesellschaftsvertrag.

Die Folgen der Globalisierung müssen korrigiert werden

Im Zuge der Coronavirus-Krise werden nun manche Medikamente knapp. Politik und Bürger lernen brutal, wie viele davon aus Indien kommen, dessen Pharmaindustrie wiederum zwei Drittel der Wirkstoffe aus China bezieht, etwa für Antibiotika, Blutdrucksenker, oder das Schmerzmittel Paracetamol.

Bisher galt: Wir beziehen die Produkte von da, wo sie am günstigsten hergestellt werden. Eine Lehre aus der Krise wird sein, bei lebenswichtigen Gütern auf garantierte Lieferung auch in Krisen zu achten.

Vielleicht muss der Staat inländischen Firmen Mindestmengen abnehmen und dafür zahlen. Daraus darf kein Kampf gegen die Globalisierung an sich werden; der wäre falsch. Es geht um eine besonnene Korrektur von Globalisierungsfolgen, die sich gerade als hochriskant erweisen.

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