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Politik: Der neue US-Präsident: Vom Weißen Haus ins Arbeitsamt

Bis zuletzt hat Al Gore auf den Einzug ins Weiße Haus gehofft und offenbar keine Pläne für den Fall seines Scheiterns gemacht. "Ich weiß noch nicht, was ich als nächstes tun werde", gestand der Präsidentschaftskandidat der Demokraten in seiner Abschiedsrede in der Nacht zum Donnerstag.

Bis zuletzt hat Al Gore auf den Einzug ins Weiße Haus gehofft und offenbar keine Pläne für den Fall seines Scheiterns gemacht. "Ich weiß noch nicht, was ich als nächstes tun werde", gestand der Präsidentschaftskandidat der Demokraten in seiner Abschiedsrede in der Nacht zum Donnerstag. Erst einmal werde er Urlaub mit der Familie machen, einige Zeit im heimischen Tennessee verbringen und "einiges, was zerbrochen ist, wieder reparieren - im übertragenen wie im wörtlichen Sinn". Sein Kontrahent Goerge W. Bush hat bereits ein Versöhnungstreffen vorgeschlagen. Worüber er genau mit Al Gore sprechen möchte, sagte der künftige Präsident aber nicht.

Hinter Al Gores Zukunft stehen viele Fragezeichen. "Wir haben hier jemanden, der die Präsidentschaft zum Herzstück seines Lebens gemacht hat", meinte bereits vor Tagen der Historiker Gil Troy von der McGill-Universität in Montreal. "Was aus ihm einmal wird, ist wirklich eine Frage, die schwer zu beantworten ist".

Grundsätzlich spricht nichts dagegen, dass sich Al Gore in vier Jahren ein weiteres Mal um die Präsidentschaft bewirbt. Ein solches Comeback gelang schon Richard Nixon, der 1960 knapp gegen John F. Kennedy verlor, acht Jahre später dann aber doch ins Weiße Haus einziehen konnte. Der Republikaner sei sich des Stigmas eines Verlierers wohl bewusst gewesen, meint Troy. "Aber er war kompromisslos auf sein Ziel fixiert" - eine Eigenschaft, die Gore ebenfalls besitzt.

Auch der Demokrat Andrew Jackson, der 1824 die Stimmenmehrheit gewann, seinem republikanischen Gegner John Quincy Adams im Wahlmännerkollegium aber unterlag, dachte nicht ans Aufgeben. "Am Tag, an dem er verloren hatte, zog er aufs Neue in den Wahlkampf", berichtet Troy. Mit dem Ruf "Gore in four" riefen denn auch Gores Anhänger ihr Idol auf, im Jahr 2004 den Einzug ins Weiße Haus erneut zu versuchen.

Mit seinem beharrlichen Kampf um jede Stimme ist dem demokratischen Präsidentschaftskandidaten zumindest eines gelungen: Er profilierte sich als Märtyrer der schwarzen Minderheit, die sich an den Urnen übervorteilt fühlte. Die Umfragen zeigen jedoch, dass es ihm nicht gelang, die politische Mitte klar auf seine Seite zu ziehen. Die Entfremdung zwischen Gore und dem Großteil der Bevölkerung bleibt allen Appellen an Fairness, Nationalinteresse und Sympathie zum Trotz bestehen.

In dieser Hinsicht gleicht Gore eher George Bush, dem Vater des künftigen republikanischen Präsidenten der USA. Genau wie der ehemalige Vizepräsident von Ronald Reagan spielte sich Gore nie in die Herzen des Publikums. Distanz wahrte er auch gegenüber den Granden der eigenen Partei. In der Krise zog sich Gore in den Kreis seiner Familie zurück. Auf die Niederlage dürften bittere Vorwürfe aus den Reihen der Demokraten folgen.

Auch wenn Berühmtheiten in den USA dieser Tage viel verziehen wird, bei Präsidentschaftskandidaten tendieren die Amerikaner nach Ansicht Troys zum Kannibalismus. Demokratischen Verlierern ergeht es dabei oft noch schlechter als Republikanern - wer feiert heute schon noch gescheiterte Bewerber wie Walter Mondale oder Michael Dukakis? Vielleicht wird Gore nichts anderes übrig bleiben, als sich ins Privatleben zurückzuziehen. Immerhin war er schon Journalist, Autor und Umweltpapst. Sein Mentor Martin Peretz, Verleger der linksgerichteten Zeitschrift "New Republic", hält für den 52-Jährigen womöglich einen Job bereit. Auch eine Universitätskarriere scheint denkbar.

Andererseits fehlen den Demokraten derzeit Lichtfiguren, die im nächsten Präsidentschaftswahlkampf die Fahne tragen könnten. Hillary Clinton, Vizekandidat Joe Lieberman sowie Senatoren wie John Kerry und Joe Biden werden genannt, ohne dass ihnen jemand zum jetzigen Zeitpunkt schon Wählbarkeit und Siegesfähigkeit attestieren will. Gleichwohl dürfte es nicht schwer fallen, die demokratische Partei zu mobilisieren, den Republikaner George W. Bush wieder aus dem Weißen Haus zu werfen. "In der amerikanischen Politik sind vier Jahre gleichbedeutend mit einem Lebensalter", sagt der Historiker Gil Troy.

Henriette Löwisch

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