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Politik: Der Papst und die Piefkes

Von Bernd Ulrich

So schön, so fromm und zugleich so offen hat man diese Kirche vielleicht noch nie erlebt wie gestern beim Begräbnis von Johannes Paul II. Ein einzigartiger Moment war das, nicht nur für Katholiken, für Christen überhaupt. Und auch die anderen Weltreligionen waren dabei, verfeindete Staatsmänner tauschten den Friedensgruß aus. Doch mehr noch als sie und die vielen Kardinäle zeugte die Millionengemeinde davon, wie verbindend und befreiend der Glaube sein kann.

Mit dem langen Beifall, den sie in Rom spendeten, nahmen sie sich ihren Teil an dieser Feier, griffen ein in die Regie. Wie auch mit ihrem Humor, mit dem auf Transparente geschriebenen „Santo subito“, sofortige Heiligsprechung. Zudem wissen sogar die Kardinäle, dass sich die Menschen mit ihren Tränen unter Sonnenbrillen ihren eigenen Reim machen auf die Kirche und den Papst. Das heißt: Da waren auch hunderttausende Kondome und Antibabypillen auf dem Petersplatz. So weit geht in diesen Wochen der Katholizismus, vom dogmatischen Kardinal Joseph Ratzinger bis zu den liberalfrommen Gläubigen. Eine geheimnisvolle Dialektik hat sich entwickelt: Die Verehrung für den warmherzigen, aber hartgläubigen Papst hat eine einnehmendere Kirche erzeugt. Es wird dem Nachfolger von Johannes Paul II. schwer fallen, dahinter zurückzufallen. Schon das Konklave wird nach einem Papst suchen müssen, der zu der Kirche passt, die sich in diesen letzten Wochen gezeigt hat.

Der gestrige Tag hat augenfällig gemacht, was Religion im besten Falle sein kann. Was sie im Schlechten vermag, das ist seit dem 11. September 2001 erneut ins Bewusstsein gerückt. Fundamentalismus, von dem auch die katholische Kirche nicht frei ist, und religiöser Terror stehen am anderen Ende dessen, was Glaube bedeutet. Offenkundig jedenfalls scheint, dass Religion, so oder so, eine Weltmacht ist, dass sie die große Mehrheit der Menschheit bewegt, eine Seelen- und Geschichtskraft von wachsender Stärke. Wie sich diese immer menschheitlicher werdende Weltbevölkerung entwickelt, weiß niemand. Dass sich ihr Schicksal sehr stark auf dem Felde und im Medium der Religion entscheiden wird, das lässt sich nicht mehr übersehen.

Es sei denn, man schließt die Augen und mauert sich ein in eine überkommene Gesinnung der 70er und 80er Jahre. Es sei denn, man klammert sich an die Vorstellung, die Befreiung vom Religiösen sei ein wünschenswerter Weg in die globalisierte Welt. Es sei denn, man sitzt im Berliner Senat und versucht, den Religionsunterricht aus den Schulen zu verdrängen. Das Zusammenfallen dieses Staats- und Konfessionsgrenzen überschreitenden Papstbegräbnisses mit dem Landesparteitag der Berliner SPD zeigt, wie weltfremd hier die Politik ist. Linke Piefkes, wie von Seyfried gezeichnet.

Die Nichtreligiösen sind global gesehen eine Minderheit. Diejenigen unter ihnen, die meinen, dass Religion nicht wichtig und förderungswürdig ist, bilden sogar in Deutschland eine Minderheit. Diejenigen aber, die so antireligiös sind, dass sie den Glauben marginalisieren wollen, die findet man wirklich nur noch mit der Lupe. Oder im Senat.

Dessen Beschränkung zeigt sich besonders in der Vorstellung, man könne alle Religionen und sonstigen Ethiken in einem Unterrichtsfach abhandeln. Religiöse Musikalität entsteht in einer dauerhaften Auseinandersetzung mit dem Glauben. Dazu bedarf es eines gläubigen Gegenübers. Von weitem betrachtet, in vergleichender Draufsicht wirken die fünf Weltreligionen gleichermaßen irgendwie interessant, irgendwie sympathisch, irgendwie exotisch und irgendwie egal. Wenn man ihn nicht spürt, erlebt und erleidet, wird man über den Glauben nichts erfahren.

Was der Senat vorhat, ist darum die mutwillige Verbreitung religiöser Legasthenie im Zeitalter globalen Wiedererstarkens des Religiösen. Dass er einer Gesinnung von gestern folgt und sich dabei ungemein progressiv wähnt, macht die Angelegenheit komisch. Dass der Senat mit seiner Borniertheit andere begrenzen und Berliner Kinder um ihre Wahlfreiheit bringen will, macht sie zu einem echten Ärgernis. Reiches Rom, armes Berlin.

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