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Politik: Der Partei fehlen die politischen Köpfe (Kommentar)

Erinnerung verklärt. Nur so lässt sich wohl deuten, dass der SPD-Bundestagsabgeordnete Michael Müller sich Oskar Lafontaine an die Spitze der Sozialdemokratie zurückträumt.

Erinnerung verklärt. Nur so lässt sich wohl deuten, dass der SPD-Bundestagsabgeordnete Michael Müller sich Oskar Lafontaine an die Spitze der Sozialdemokratie zurückträumt. Der Berliner Parteitag im Dezember soll zu einem zweiten Mannheim werden, hofft der Parteilinke. So wie Lafontaine damals Rudolf Scharping aus dem Amt putschte, soll er diesmal den ungeliebten Kanzler aus dem Parteivorsitz jagen. Die Sehnsucht nach alten Zeiten als sozialdemokratischer Utopie-Ersatz für die Zukunft.

Es steht nicht gut um den Zustand der SPD, wenn Männer wie Müller öffentlich vom Aufstand fabulieren. Wenn gleichzeitig Ministerpräsidenten der eigenen Partei dem Kanzler und SPD-Chef unsoziale Politik unterstellen. Schröder hat seit seinem Wahlsieg genug damit zu tun, als Kanzler die rot-grüne Koalition zusammenzuhalten. Die Partei hat er vernachlässigt. Er hat sich nie ernsthaft bemüht, ihr Herz zu erobern. Er ist auch nicht unbedingt der Typ, der so etwas kann. Die SPD als eigenständiger Faktor findet in der Politik neben Kanzleramt, Fraktion und Koalitionsrunden praktisch kaum mehr statt. Seit Lafontaines Abgang definiert die Regierungszentrale sozialdemokratische Politik neu. Die Bundestagsfraktion bremst manchmal ein bisschen, kämpft um Korrekturen in Akzenten. Die Partei hat Schwierigkeiten, dem Ganzen noch zu folgen. Die Basis schaut zu - zunehmend irritiert.

Daran trägt nicht nur Schröder Schuld. Der Partei fehlen die politischen Köpfe. Bundesgeschäftsführer Ottmar Schreiner zeigt wenig Wagemut, politisches Eigenleben der SPD neben Kanzleramt und Fraktion zu fördern. Jedenfalls hört man wenig von ihm. Vorsicht, vermintes Gelände - besser keine Stellungnahme, sagt er sich. Auch sonst ist an der Spitze der Partei wenig zu sehen. Was haben eigentlich Schröders Stellvertreter in den letzten Monaten gemacht? Johannes Rau ist Bundespräsident geworden. Wolfgang Thierse präsidiert überparteilich im Bundestag. Rudolf Scharping kämpft verbissen um mehr Geld für die Bundeswehr. Die Bayerin Renate Schmidt ist außerhalb ihres Freistaates kaum bekannt. Präsidiumsmitglieder wie Justizministerin Herta Däubler-Gmelin widmen sich ihrem neuen Amt, nicht der Partei. Anderen, wie Ulrich Maurer, dem gerade von der eigenen Basis geschassten Ex-SPD-Chef von Baden-Württemberg, haftet das Stigma des ewigen Verlierers an. Nur Mandatsträger und Looser: keine gute Basis, der leidenden Partei neues Leben einzuhauchen.

Diese Misere zeigt auch, welche Lücke Oskar Lafontaine hinterlassen hat, als er ohne ein Wort der Erklärung den Parteivorsitz von sich warf. Michael Müller mag ihm diese Flucht verzeihen. Die Mehrheit der SPD verzeiht dem Saarländer die wortlose Flucht bis heute nicht. Der Saarländer war die Partei. Er hat sie mit eiserner Hand in Zucht gehalten - und gemeinsam mit Schröder an die Macht geführt. Lafontaines großes Versagen war, in der Oppositionszeit die Neuorientierung der Partei gescheut zu haben. Schröder hat die Machtprobe erst gar nicht gewagt. Im Wahlkampf nicht und nicht einmal, als Lafontaine als Finanzminister eine Politik machte, der er nach eigenem Bekunden eigentlich nicht folgen wollte. Auch deswegen können sich prominente SPD-Ministerpräsidenten wie Reinhard Klimmt und Reinhard Höppner weiter so gebärden, als wäre ihre Partei noch immer in der Opposition. Auch das gehört zum Erbe Lafontaines. Vielleicht ist es die späte Rache am Rivalen Gerhard Schröder?

Der Kanzler weiß um diese Defizite seiner Partei. Deswegen redet er der personellen Erneuerung das Wort - in der Hoffnung, die SPD über neue Personen an der Spitze auf seinen politischen Kurs zu zwingen. Den wichtigsten Mann für diese mühevolle Aufgabe hat er bereits ausgeguckt. Franz Müntefering soll zweiter Mann nach dem Chef werden. Wichtig und hervorgehoben vor den anderen. Er hat den richtigen Stallgeruch. Außerdem kann der Mann organisieren. 1998 legte Müntefering als Bundesgeschäftsführer mit dem erfolgreichen Wahlkampf sein Meisterstück vor. Er ist ein loyaler Parteiarbeiter ohne eigenen Ehrgeiz nach dem höchsten Amt. So einen Mann braucht Schröder. Und die Partei wird ihn lieben wie Oskar. Selbst wenn sie als Regierungspartei nie aus dem Schatten des Kanzleramts treten wird.

Carsten Germis

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