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Politik: "Der Parteichef ist anders als Schönbohm nicht präsent" - Kritik an Landesvorsitzendem Steffen Reiche

Eigentlich will Katja Wolle jetzt, zum Jahrtausendwechsel, nicht über die unangenehmen politischen Dinge reden. Schließlich gesteht das SPD-Landesvorstandsmitglied doch: "Die Wahlniederlage liegt mir nach wie vor im Magen.

Eigentlich will Katja Wolle jetzt, zum Jahrtausendwechsel, nicht über die unangenehmen politischen Dinge reden. Schließlich gesteht das SPD-Landesvorstandsmitglied doch: "Die Wahlniederlage liegt mir nach wie vor im Magen. Im Grunde zeigt sich erst jetzt, wie schlimm wir verloren haben, wie ungünstig die Karten neu gemischt worden sind." Vieles, was sozialdemokratische Politik bisher ausgemacht habe, stehe zur Disposition. Für die SPD-Politikerin, im Hauptberuf Bürgermeisterin, steht fest: "Regine Hildebrandt hatte mit ihrer Warnung recht: Schönbohm und seine CDU profilieren sich in der Koalition auf Kosten von Manfred Stolpe und der SPD." Das könne der Partei im Jahr 2004 auf die Füße fallen.

Katja Wolle steht mit ihrer Meinung nicht allein. Vier Monate sind seit der Landtagswahl vergangen, aber die SPD hat nach Meinung vieler Genossen den durch den Verlust der Alleinherrschaft ausgelösten Schock nicht überwunden. "Sie starrt gebannt wie das Kaninchen auf die Schlange", sagt ein SPD-Landrat. "Der notwendige Gegenpol zu Schönbohm ist nicht da", konstatiert der SPD-Bundestagsabgeordnete Stefan Hilsberg, der unmittelbar nach der Wahl nicht nur einen inhaltlichen, sondern auch einen personellen Neuanfang gefordert hatte. Hilsberg bleibt dabei: "Mit der bisherigen Konstellation - Steffen Reiche als Minister und Parteichef - kommen wir gegen Schönbohm wohl nicht an."

Reiche, mit 39 Jahren zweitjüngster, zugleich aber dienstältester SPD-Parteichef in Ostdeutschland, sieht das anders. "Die Partei hat die Wahlschlappe verarbeitet, das zeigt schon die schnelle Koalitionsentscheidung", behauptet er. Doch müsse die SPD ihre Rolle in der Koalition erst bestimmen: "Es ist nicht die des Gegenparts zu Schönbohm, es muss die des Motors und Impulsgebers sein."

Bisher ist davon freilich nichts zu spüren: Impulse kämen vor allem von Schönbohm, Justizminister Schelter und anderen CDU-Leuten, räumen selbst SPD-Politiker ein. Reiche hat eine Erklärung: Er wolle keine Schnellschüsse. Im Januar werde die SPD mit ihren führenden Leuten in Klausur gehen, im März auf einem Programm-Parteitag die inhaltlichen Neubestimmungen vornehmen. Das sei in der SPD, so Reiche, "schwieriger als im Ein-Mann-Betrieb CDU".

Doch nicht wenige Sozialdemokraten zweifeln, ob der gelernte Pfarrer, bereits seit zehn Jahren Parteichef und seit fünf Jahren Minister, die Sozialdemokraten in die Offensive führen kann. Und manche fragen, ob er es überhaupt sollte. Auf der Landesvertreterversammlung, die die Große Koalition absegnete, beklagten Unzufriedene Demokratiedefizite, Arroganz, Ignoranz gegenüber wohlmeinender Kritik und taktisches Agieren zur Machtsicherung. Neue Töne in der an sich harmoniebedürftigen Partei. Die Kritik richtete sich, auch wenn sein Name nicht genannt wurde, vor allem gegen Reiche. Selbst Freunde des Parteichefs verweisen auf "zunehmende Abnutzungserscheinungen" und "eine stärker spürbare Überforderung durch die Doppelbelastung". Ein Vorstandsmitglied: "Der Parteichef ist anders als der Generalist Schönbohm öffentlich nicht präsent." Das werde sich auch nicht ändern: Denn mit der Schulreform habe Reiche eine der schwierigsten Aufgaben in der neuen Regierung zu lösen. "Wenn er sie gut über die Bühne bringen will, ist das ein Fulltime-Job", heißt es im Bildungsministerium.

In kleinen Zirkeln wird längst überlegt, wer im kommenden Juni, wenn der neue Vorstand gewählt wird, an Reiches Stelle treten könnte: Hoffnungsträger Matthias Platzeck, gerade in den SPD-Bundesvorstand gewählt, schließt eine Kandidatur "definitiv aus". Sein Entschluss ist nachvollziehbar: Er muss sich vorerst voll auf Potsdam konzentrieren, die Stadt ist noch nicht über den Berg. Auch Ministerpräsident Manfred Stolpe steht für den Parteijob nicht zur Verfügung. Das hat er wiederholt deutlich gemacht. Er muss jetzt mehr denn je die Landesvater-Rolle ausführen - sein Rezept gegen Schönbohm. Regine Hildebrandt kommt erst recht nicht in Frage. "Eine Oppositionsführerin an der Spitze könnte die Partei nicht vertragen", heißt es im Landesvorstand unisono. Im Gespräch ist Ex-Agrarminister Gunter Fritsch, der bisher keine Neigung zeigen soll: Was viele auch für vernünftig halten, denn er muss sich erst einmal als Fraktionschef profilieren.

So könnte wieder alles auf Reiche hinauslaufen. Entscheidend wird sein, was Stolpe will, der sich wie immer bedeckt hält. Er scheint die Stimmung in der Partei auszuloten, um sich erst danach festzulegen. Reiche, der seine Kandidatur bisher offen ließ, redet nicht mehr um den heißen Brei: "Ich werde wieder kandidieren, wenn die Partei meine inhaltlichen Positionen mitträgt." Sein Ziel: Eine Kandidaten-Diskussion erst gar nicht aufkommen zu lassen. Katja Wolle, nicht unbedingt ein Reiche-Fan, sieht das ganz locker: "Er hat uns in diese Situation gebracht, dann soll er sich auch den Problemen stellen." Hilsberg hingegen fürchtet, dass "alles weiterdümpeln wird wie bisher".

Michael Mara

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