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Politik: Der PDS-Abgeordnete wird als Nachfolger von Gregor Gysi gehandelt

Nichts deutet darauf hin, dass eine Revolution geplant ist. Kein Bild, kein Foto hat Roland Claus in seinem Abgeordnetenbüro aufgehängt.

Von Matthias Meisner

Nichts deutet darauf hin, dass eine Revolution geplant ist. Kein Bild, kein Foto hat Roland Claus in seinem Abgeordnetenbüro aufgehängt. Die weißen Wände demonstrieren Sachlichkeit. Dagegen kommen die zwei kleinen Grünpflanzen nicht an; sie bemühen sich vergeblich, dem Raum etwas Farbe zu verleihen. Im Regal stehen ein paar Nachschlagewerke: Statistisches Jahrbuch, Handbücher zur Geschichte. Von Marx und Engels keine Spur. Obwohl der PDS-Abgeordnete Claus aus Halle vor einer gewaltigen, einer fast revolutionären Aufgabe steht: Er soll, so wollen es seine Genossen, Gregor Gysi als PDS-Fraktionschef beerben.

Sollte in diesem Büro in der Jägerstraße in Berlin-Mitte je eine Revolution losgetreten werden, dann wird sie äußerst pragmatisch organisiert sein. Denn eigentlich, das ahnt Claus, muss jeder noch so ambitionierte Kandidat an der Gysi-Nachfolge scheitern. Natürlich gibt es keinen, der so eloquent daherreden kann, keinen, der nur annähernd so brillant ist wie der seit 1990 konkurrenzlose PDS-Vormann. Claus ist seit eineinhalb Jahren parlamentarischer Geschäftsführer der PDS-Bundestagsfraktion und hat in dieser Zeit die Berühmtheit eines x-beliebigen Hinterbänklers erreicht. Da macht die Vorstellung nervös, dass er Gysis Nachfolger werden könnte.

Wenn Claus in diesen Tagen über den Posten spricht, den er übernehmen soll, kann er seine Unsicherheit kaum verbergen. Fast ängstlich nimmt er die rechte Hand vor den Mund, bevor er anfängt zu reden; die Kaffeetasse hält er zitternd. "Es wäre falsch und vermessen zu sagen, dass jeder ersetzbar ist und man zur Tagesordnung übergehen kann", gibt Claus zu. Ja, doch, der scheidende Fraktionsvorsitzende sei "in einer Weise an Bevölkerungsschichten herangekommen, wie das kein anderer kann".

Trotzdem will Claus das Unmögliche versuchen. Er glaubt, dass er es schaffen kann, wenn er stark ist, wo Gysi schwach war: beim Wirken nach innen, in die Partei hinein. Claus hat nichts gegen Auseinandersetzungen, die Gysi und sein Partner Lothar Bisky in der Vergangenheit vermieden haben. Auch wenn ein Pragmatiker wie Claus das nie so revolutionär formulieren würde. Der Abgeordnete verschränkt die Hände: Wenn jetzt die Reformer die Machtfrage in der Partei stellen würden - das wäre unangebracht, sagt er.

Vor allem will Roland Claus keinen Fehler machen. Zum Beispiel, glaubt er, wäre es ein Fehler, seinen Hut zu früh in den Ring zu werfen. Aber dass es mit der PDS nicht weitergehen kann wie bisher, ist für Claus ebenso sicher. Er verlangt, dass sich die PDS von ihrem "geistigen Avantgardismus" und von ihren ideologischen Debatten verabschieden soll. Die Rituale der Partei, glaubt er, lassen eine Öffnung zur Gesellschaft kaum zu. Der 45-Jährige redet sich jetzt in Rage. Seinen Kaffee rührt er nicht an, vielleicht auch, damit man das Zittern nicht sieht. Er weiß um die Krise der PDS - und hofft, dass sie sich als Chance nutzen lässt. Wie 1989? Da wurde der Funktionär der Freien Deutschen Jugend Mitte November, auf dem Höhepunkt der Wende, zum letzten Bezirkschef der Sozialistischen Einheitspartei in Halle. Damals wollte er die alte Partei nicht retten, sondern den klaren Bruch durchsetzen. Bei den Montagsdemonstrationen stellte sich der junge Genosse den Diskussionen über die Verfehlungen des Systems.

Claus war damals 34. Er wollte nicht davonrennen, denn er fand, dass er als Teil des Systems Schuld auf sich geladen hatte. Mit Leuten wie Claus, glaubt Gysi, kann die PDS ihre Rolle als "Phantom" in der westdeutschen Gesellschaft loswerden. Deshalb haben die Abgeordneten ihrem Kollegen Claus den Spitznamen "Anwalts Liebling" gegeben. Claus will sich dem Ruf seines Förderers nicht entziehen, der nun lieber häufiger in die Oper gehen möchte, ohne an die Partei zu denken.

Roland Claus geht gern ins Theater, aber er ist kein Mann für die Bühne, erst recht nicht für die Talkshow. Als kühler Technokrat wird er von seinen Genossen beschrieben. Claus entwirft politische Vorstellungen am Reißbrett, seine wissenschaftliche Ausbildung immer im Hintergrund: 1976 studierte er mit dem Schwerpunkt "Mathematik und Datenverarbeitung" an der Technischen Hochschule Leuna-Merseburg, danach an der Parteihochschule "Karl Marx" in Berlin. Eine DDR-deutsche Bilderbuchkarriere: Im Alter von 24 Jahren war Claus in die SED eingetreten.

Doch der bekennende Ostler - Zigarettenmarke: f6 - hat rasch gelernt, wie das politische Geschäft im neuen Deutschland funktioniert. Nach der Wende übernahm er den Landesvorsitz der PDS Sachsen-Anhalt. Als die glücklosen CDU-Regenten dort 1994 die Macht verspielten, schockierte er die eigenen Genossen mit seinen Überlegungen, wie es denn eigentlich wäre, eine rot-grüne Minderheitsregierung zu tolerieren. Claus gilt als "geistiger Vater" des Magdeburger Modells - und sowohl SPD-Ministerpräsident Reinhard Höppner als auch CDU-Fraktionschef Christoph Bergner bescheinigen ihm, ein glänzender Stratege zu sein. "Der war uns allen gedanklich weit voraus", erinnert sich die sachsen-anhaltinische PDS-Fraktionschefin Petra Sitte. Und der Magdeburger SPD-Funktionär Jens Bullerjahn sieht in Claus einen "gewieften Taktiker mit politischem Weitblick".

Claus ist Pragmatiker. Er weiß, dass die schwersten Zeiten der PDS noch bevorstehen. Er will dem Vorwurf des Populismus trotzen, will, dass seine Partei wirklich ernst genommen wird. Den Kritikern in den eigenen Reihen, die der PDS-Realpolitik nicht trauen, wirft er vor, "acht Jahre lang Anträge für die Mülltonne geschrieben zu haben".

Hektisch zerdrückt Claus die Zigarette im Aschenbecher. "Im positiven Sinne muss die PDS weiter gesellschaftsfähig gemacht werden", sagt er - und überlegt, ob ihm die eigenen Genossen einen solchen Satz um die Ohren hauen werden. Seit Münster müssen sich die Reformer mehr denn je fragen, wie es um die Mehrheitsverhältnisse in der PDS steht. Aber Claus weiß, dass die Revolution nicht an einem Tag kommt: Gerade hat Reinhard Höppner die "klare Linie" bei der Kooperation mit der PDS in Sachsen-Anhalt gelobt und die Bereitschaft zur rot-roten Koalition nach der nächsten Landtagswahl angedeutet. Da wird doch Claus mal sinnieren dürfen, ob das Magdeburger Modell nicht irgendwann auch im Bundestag Praxis werden kann.

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