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Politik: Der Präsident heißt jetzt Premier

Der Machttransfer im Sinne Putins hat in Russland begonnen – Experten befürchten dadurch Instabilität

Wer bei der Parade zum Tag des Sieges auf dem Roten Platz in Moskau wo und neben wem auf der Tribüne steht – das war schon zu Sowjetzeiten ein sicheres Indiz dafür, wer Macht und Einfluss hatte. Auch von der Stehordnung beim bisher größten Aufmarsch von Truppen und Technik seit Ende des Zweiten Weltkrieges am kommenden Freitag versprechen sich Beobachter erste Anhaltspunkte für ein Bild der künftigen Machtverhältnisse.

Am 2. März mit rund 70 Prozent aller Stimmen gewählt, wird Dmitri Medwedew am Mittwoch auf die russische Verfassung vereidigt. Am 8. Mai tritt das Parlament – die Duma – zu einer Sondersitzung zusammen, um Wladimir Putin als Premier zu bestätigen. Auf Vorschlag Medwedews. Dieser muss auch die Kabinettsliste absegnen, die Putin ihm vorlegt. Aber wird der Mann, der Russland in den letzten acht Jahren de facto als Alleinherrscher regierte, künftig nur die Nummer zwei der Hierarchie sein, zuständig für Tagespolitik und Krisenmanagement? Wohl kaum. Der Machttransfer hat bereits begonnen.

Die Provinzchefs, die der Präsident ernennt und absetzt, sollen künftig vor dem Premier Rechenschaft ablegen. Und über Außen- und Sicherheitspolitik – gegenwärtig Vorrecht des Staatschefs – soll fortan auch am ovalen Kabinettstisch geredet werden. Russischen Medien zufolge soll ein Vizepremier Verteidigungs-, Sicherheitspolitik und die Geheimdienste koordinieren: Ressorts, die gegenwärtig dem Präsidenten unterstehen. Von insgesamt zwölf Vizepremiers ist die Rede, die Putin die Alltagspolitik abnehmen sollen. Viktor Subkow, der gegenwärtige Regierungschef, der als Erster Stellvertreter und künftiger Aufsichtsratschef von Gasprom gelistet ist, kam mit weniger als der Hälfte zurecht.

Seit 1998, als Russland nach Bankencrash und Finanzkrise vor dem Bankrott stand und der zum Katastrophenmanager bestellte Premier Jewgeni Primakow drauf und dran war, Präsident Boris Jelzin zu entmachten, standen nur noch graue Mäuse an der Spitze der russischen Regierung, Technokraten ohne politische Ambitionen. Mit Putin wird sich das ändern. Das Moskauer Weiße Haus, der Regierungssitz, wurde in den letzten Wochen zur Festung ausgebaut und ist für die Presse künftig Sperrbezirk. So wie der Kreml, den Journalisten nur betreten dürfen, wenn sie gerufen werden. Neu ist auch ein Fitnesszentrum, dessen einzige Tür direkt in Putins Amtsräume führt. Seine Vorgänger brauchten Pilates und Trainer so wenig wie den Gourmettempel für die obersten Ränge der Hierarchie, für den der alte Gemeinschaftsspeisesaal drangegeben wurde. Und neben Spitzenbeamten aus der Kreml-Verwaltung und den Gasprom-Türmen zieht auch ein ganzes Team von Redenschreibern mit Putin um. Dazu ein Protokollchef, den frühere Premiers nicht hatten.

Betreten, teilweise sogar bestürzt, verfolgt die Nation, wie Putin, der Russland gleich nach Machtantritt ein straff zentralistisches System verpasste und damit für relative Stabilität sorgte, diese „Machtvertikale“ nun eigenhändig wieder demontiert. Zumindest vorübergehend. Lilija Schewzowa von der Moskauer Carnegie-Stiftung spricht bereits von „Zersplitterung der Macht“. Russlands wird dadurch auch für seine Partner im Westen weniger berechenbar. Denn die neue Gewaltenteilung ist bis auf weiteres eine willkürliche, dynamisch und mit fließenden Grenzen, die nicht durch die Verfassung, sondern lediglich durch Abreden zwischen Putin und Medwedew definiert werden. Ohne Gewähr, dass die Hohen Vertragsschließenden Seiten sich an ihren Deal auch halten.

Dazu kommt, dass Russland mit dezentralisierten Machtstrukturen oder mehreren politischen Schwerkraftzentren bisher denkbar schlechte Erfahrungen machte. Doppelherrschaft verbindet das kollektive historische Gedächtnis mit Chaos und Straßenkämpfen, mit Feuerbränden und Sturmgeläut.

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