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Politik: Der praktisch Vernünftige

Ex-Bürgermeister Voscherau (SPD) verärgert die Partei

Das Drehbuch der SPD sah anders aus. Fraktionschef Walter Zuckerer wollte am Donnerstag die ganze Aufmerksamkeit auf seine verheerende Halbzeitbilanz des rechtsliberalen Senats in Hamburg richten: Gebrochene Versprechen, die höchste Steigerung der Arbeitslosigkeit, Proteste in Schulen, kaputtgesparte Sozialprojekte, Kultur-Chaos, Schill – Hamburg auf einem Abstiegsplatz. Doch schon morgens musste Zuckerer von Angriff auf Abwehr umschalten. Ex-Bürgermeister Henning Voscherau (SPD) erläuterte in Interviews seinen Verzicht auf eine erneute Kandidatur und beklagte Anfeindungen aus der eigenen Partei: „Ungeschmälerte Gehässigkeit“ sei über ihn ausgeschüttet worden, dies seien „Hinterlassenschaften des früheren orthodoxen linken Flügels“.

Monatelang war Voscheraus Fenster einen Spalt breit offen – nur der Ruf ertönte nicht: Hamburgs SPD will nicht mit Verdiensten und Fehlern von gestern in die nächste Wahl ziehen. „Fit wie ein Turnschuh“ sei er, sagt der 62-jährige Voscherau. Seine Analyse: „Keine Chancen hat man mit mir nicht.“ Er habe zahlreiche Mitstreiter, betont der Bürgermeister a. D., „aber es gibt auch unverändert eine einflussreiche Gruppe von bis zu 150 Funktionären, die meine Linie der praktischen Vernunft seit 25 Jahren bekämpft“. Mit Ideologie und Illusionen könne man nicht erfolgreich regieren: „Das war die große Auseinandersetzung mit den 68ern und deren Enkeln.“ Aber selbst die SPD-Vorsitzende seines eigenen Kreisverbandes habe nicht angerufen, um mit ihm über ein Comeback zu sprechen: „Ich habe wenig Einfluss, weil ich keine Lust habe, zu kämpfen.“ Überhaupt habe er Abstand von der „Sinnhaftigkeit des ritualisierten Politikgetriebes“, erläutert Voscherau. Nun wolle er bis 70 Notar sein, Deutschland bereisen oder Golf spielen.

Hamburgs SPD-Chef Olaf Scholz vermied gestern eine offizielle Reaktion. Die Fraktion sei „nicht amüsiert“, so Sprecher Ivo Banek. „Voscheraus Äußerungen sind rückwärtsgewandt. Er redet von einer SPD, die es nicht mehr gibt.“ Am Mittwoch stimmt die Bürgerschaft über einen Neuwahlantrag der SPD ab. Dann dürfte Voscherau wieder Gehör finden – als Kronzeuge der Senatsparteien.

Günter Beling[Hamburg]

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