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Auf Hochtouren. Die Druckmaschine mit den Exemplaren der SPD-Parteizeitung vorwärts, in der der Koalitionsvertrag enthalten ist - zur Kenntnisnahme durch alle SPD-Mitglieder.

© dpa

Der schwarz-rote Koalitionsvertrag: Grummeln an der SPD-Basis

Noch steht der schwarz-rote Koalitionsvertrag unter dem Vorbehalt der Zustimmung der SPD-Basis. Und die ist hin- und hergerissen.

Von Matthias Schlegel

In Erfurt haben die Genossen schon mal den Aufstand geprobt. Noch bevor der Koalitionsvertrag überhaupt ausverhandelt war, haben die Sozialdemokraten in der Thüringer Landeshauptstadt vor zwei Wochen die große Koalition abgelehnt – per Beschluss eines Kreisparteitages.
Naja, relativiert Kreisgeschäftsführer René Lindenberg heute, das war eigentlich ein kommunalpolitischer Parteitag, und es waren auch nur 80 von 640 Mitgliedern anwesend. Aber einen Einblick in die Stimmungslage an der SPD-Basis gibt der Beschluss allemal: Das Regierungsbündnis mit der Union ist in breiten Kreisen der Partei eine außerordentlich ungeliebte Option, im Osten allemal, wo das Ausschlagen der Chance eines rot-rot-grünen Bündnisses auf wenig Verständnis stößt. Dort hat nach diversen mehr oder minder geglückten rot-roten Bündnissen auf Landesebene ein Zusammengehen mit der Linken weithin seinen Schrecken verloren. Für viele ist die Verlockung eines Politikwechsels mit linker Prägung größer als die Abneigung gegenüber der einst als SED-Nachfolger gescholtenen Linkspartei. Der miefige Geruch aus den roten Socken hat sich offenbar verflüchtigt.
Inzwischen, so schätzt Kreisgeschäftsführer Lindenberg ein, habe sich die Stimmung auch in Erfurt allerdings „zum Positiven“ gewendet – und er will damit sagen, dass man heute der großen Koalition aufgeschlossener gegenüberstehe. In Bezug auf etliche Punkte im vorläufigen Regierungsprogramm gebe es aber immer noch „Skepsis“. Die Sozialdemokraten verschanzen sich jetzt erst einmal hinter der Bemerkung, nun müsse man zunächst in aller Ruhe die 185 Seiten des Koalitionsvertrages lesen, ehe man sich ein abschließendes Urteil bilden könne. Am 6. Dezember haben die Erfurter ihre Regionalkonferenz - da bleibt noch viel Zeit zum Lesen und zum Diskutieren.

Der Mann, der den Wahlkreis im Bundestag vertritt, der finanzpolitische Sprecher der SPD-Fraktion Carsten Schneider, wirbt bei seinen unsicheren Kantonisten denn auch mit Verve um Zustimmung. „Eine Regierung mit der CDU/CSU ist für die SPD keine Wunschkoalition. Aber wir sind uns unserer Verantwortung in Anbetracht des Wahlergebnisses bewusst. In den Koalitionsverhandlungen haben wir zentrale Positionen durchgesetzt, für die die SPD steht. Deshalb werbe ich für die Zustimmung zum Vertrag“, schreibt er seinen Genossen zwar nicht ins Stammbuch, aber auf die Homepage der SPD Erfurt. Dass sich da doch eine recht große Kluft auftut zwischen grummelnder regionaler Basis und jenen deutlich pragmatischeren Genossen, die auf Bundesebene Verantwortung tragen, wird aus dem Ergebnis der Probeabstimmung in der SPD-Bundestagsfraktion deutlich. Dort wurde am Mittwochabend dem Koalitionsvertrag einstimmig zugestimmt, bei zwei Enthaltungen. Das heißt, dass auch die bislang schärfsten Gegner einer großen Koalition, die Vorsitzende des Forums Demokratische Linke Hilde Mattheis, und der Vorsitzende des Arbeitnehmerflügels der Partei Klaus Barthel, nicht gegen das vorläufige Regierungsprogramm gestimmt haben. Die Parteispitze spekuliert offenbar darauf, dass die schweigende, ohne Funktionen und Ämter ausgestattete Mitgliedermehrheit der Abstimmung zum Sieg verhelfen wird. Diese vier Fünftel der Mitglieder, so das Kalkül, repräsentieren eher den Durchschnitt der Gesamtbevölkerung – und die hat sich bekanntlich mehrheitlich eine große Koalition in Deutschland gewünscht. Knapp 475 000 SPD-Mitglieder können über den Vertrag abstimmen. Vom 6. bis zum 12. Dezember läuft die Briefwahl, bis zum 14. Dezember soll das Ergebnis feststehen. Dass die Genossen dann über Inhalte votieren, von denen sie noch gar nicht wissen, wer sie überhaupt umsetzen wird, scheint zumindest in der thüringischen Landeshauptstadt niemanden so richtig aufzuregen. „Es gibt nur wenige Leute, die sagen:<TH>Wir möchten schon wissen, wer von unseren Leuten in die Regierung einzieht“, sagt Kreisgeschäftsführer Lindenberg. Auch die Ungewissheit über die Ressortverteilung geht den Thüringern offenbar nicht so ins Mark. Aber wenn er, der Kreisgeschäftsführer, ganz persönlich einen Wunsch frei hätte, dann würde er für seine Partei auf alle Fälle das Finanzministerium beanspruchen. Das nun wiederum scheint keine Einzelmeinung zu sein.

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