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Politik: Der Sieg der Bauern

Indiens Regierung scheitert trotz des Wirtschaftswachstums. Die Landarbeiter wählten Sonia Gandhi

Alle Vorhersagen waren falsch. Noch bis vor kurzem sahen Umfragen Indiens Premier Atal Behari Vajpayee und seine bis dato regierende HinduPartei Bharatiya Janata Party (BJP) als strahlende Sieger der Parlamentswahlen. Doch nachdem die 670 Millionen Wahlberechtigten innerhalb der vergangenen drei Wochen an fünf verschiedenen Terminen zu den Urnen hatten gehen könnten, zeigte sich: Sieger in der größten Demokratie der Welt ist die oppositionelle Kongresspartei unter dem Vorsitz von Sonia Ghandi. Diese kündigte die Bildung einer „starken, stabilen und säkularen Regierung“ an.

Vor allem die BJP trifft das Ergebnis unvorbereitet. Der an sich äußerst beliebte Regierungschef Vajpayee trat noch am Donnerstag zurück, BJP-Generalsekretär Pramod Mahjan hatte sichtlich erschüttert nichts anderes zu sagen als: „Es scheint, als sei alles schief gelaufen“. Dabei hatte die BJP nach gewonnenen Landtagswahlen im vergangenen Dezember den Wahltermin sogar um sechs Monate vorverlegt, um die Gunst der Stunde inklusive erfreulicher Wirtschaftsentwicklung zu nutzen. Doch die beachtlichen knapp zehn Prozent Wachstum allein im vergangenen Quartal wirken sich nur für die im Vergleich zur Gesamtbevölkerung relativ kleine städtische Mittelschicht aus. Rund 60 Prozent der Inder, die in der Landwirtschaft arbeiten, leiden nach wie vor unter schlechter Infrastruktur, mangelhaftem Gesundheitswesen und regionalen Hungersnöten. Fast die Hälfte der über eine Milliarde Menschen kann weder lesen noch schreiben.

Gegen die Kampagne der BJP „India is shining – Indien glänzt“ stand das oppositionelle „India is burning – Indien brennt“. Während die Hindu-Partei Wahlkampf per SMS machte und sich als Garant für Fortschritt und Internationalität präsentierte, schrieb sich die Kongresspartei Armutsbekämpfung und soziale Gerechtigkeit auf die Fahnen. Und sie traf den Nerv des Wahlvolks, dem die soziale Schere in der Bevölkerung zu weit auseinander klafft. So fiel auch im Bundesstaat Andhra Pradesh der Regierungschef und wichtigste Verbündete von Vajpayee bei den zeitgleich abgehaltenen Regionalwahlen durch. Dieser hatte die Hauptstadt Hyderabat zu einer weiteren Hightech-Hochburg ausgebaut – doch 20 Kilometer weiter darben die Bauern.

Die BJP und ihre Koalitionsparteien dürfte nun frustrieren, dass eine von der Kongresspartei geführte Regierung eine ähnliche Wirtschaftspolitik weiterverfolgen wird, sagt Clemens Spieß vom Südasieninstitut der Universität Heidelberg. Denn Privatisierung und Liberalisierung stehen genauso im Wahlmanifest der Partei von Sonia Ghandi wie in dem der BJP. Wie sie im Gegensatz mehr für die Bauern tun und aufwändige Programme verwirklichen will, bleibt indes das Geheimnis der Kongresspartei.

Auch was den Kaschmirkonflikt betrifft, gehen Beobachter davon aus, dass der Regierungskurs in jedem Fall beibehalten wird. Der 79-jährige Premier Vajpayee hatte sich zuletzt intensiv um eine Beruhigung der Krise und Annäherung an Pakistan bemüht. Beide Länder hatten im Streit um die Bergregion drei Kriege geführt, Tausende starben im Verlauf des Konflikts. Im Februar einigten sich Pakistan und Indien dann auf gemeinsame Gespräche. Die Arbeitsgruppen bestehen weiter, sagt der Indienexperte Christian Wagner von der Stiftung für Wissenschaft und Politik. Er nimmt an, dass die geplanten Verhandlungen im Sommer stattfinden werden. „Was Kaschmir betrifft, herrscht eigentlich Konsens“, sagt er. „So gesehen saßen mit der BJP sogar eher die Hardliner am Ruder.“

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