zum Hauptinhalt
Vor der Saat wird Glyphosat ausgebracht, und manche Bauern in Europa tun das auch kurz vor der Ernte.

© Klaus-Dietmar Gabbert/picture alliance / dpa

Der Streit um Glyphosat: Da wächst was

Die EU-Staaten sind uneins darüber, ob Glyphosat neu zugelassen werden soll. Warum ist das Mittel so umstritten?

Am 30. Juni endet die Zulassung des Herbizids Glyphosat in der Europäischen Union. Am Donnerstag soll der zuständige Ausschuss darüber abstimmen, ob das seit den 1970er Jahren eingesetzte Unkrautvernichtungsmittel weiter auf den Äckern und Kleingärten gesprüht werden darf. Der Ausgang der Abstimmung bleibt ungewiss. Denn der Ausschuss verschob sie am 19. Mai ein zweites Mal.

Worüber entscheidet Brüssel?

Schon im März stand die Verlängerung der Zulassung für das Herbizid Glyphosat auf der Tagesordnung des Ständigen Ausschusses für Pflanzen, Tiere, Lebensmittel und Futtermittel. In diesem Ausschuss sitzen neben der EU-Kommission Vertreter aller 28 Mitgliedstaaten. Der Ausschuss Pflanzen, Tiere, Lebensmittel und Futtermittel. In diesem Ausschuss sitzen neben der EU-Kommission Vertreter aller 28 Mitgliedstaaten. Der Ausschuss entscheidet mit qualifizierter Mehrheit. Das heißt: Zwei Drittel der Staaten, die mindestens die Hälfte der Bevölkerung der EU repräsentieren, müssen zustimmen. Im März zeichnete sich keine Mehrheit für den Kommissionsvorschlag ab, die Zulassung für weitere 15 Jahre zu verlängern. Deshalb wurde die Entscheidung verschoben. Am Mittwoch und Donnerstag tagte der Ausschuss erneut und sollte über einen inzwischen veränderten Kommissionsvorschlag abstimmen. Demnach würde die Zulassung für neun statt 15 Jahre verlängert. Zudem werden die Staaten ermahnt, die Artenvielfalt auf den Feldern zu berücksichtigen. Nach der Verschiebung der Entscheidung sagte der deutsche Agrarminister Christian Schmidt (CSU): "Die EU-Kommission hat heute die Möglichkeit einer befristeten Verlängerung der aktuellen Zulassung zur Überbrückung bis zu einer abschließenden Abstimmung ins Gespräch gebracht. Sobald uns dieser Vorschlag vorliegt, werden wir ihn prüfen und über das weitere Vorgehen beraten."

Das Europäische Parlament hat sich im April für eine Verlängerung der Zulassung für sieben Jahre ausgesprochen und schlägt starke Beschränkungen in Kleingärten, auf Kinderspielplätzen und öffentlichen Parks vor. Außerdem will es den Einsatz von Glyphosat vor der Ernte, Sikkation, verbieten. Das Gift wird dann gespritzt, um die Pflanze vor der Ernte abzutöten. So lässt sich mit den Erntemaschinen leichter arbeiten.

Was wollen die EU-Staaten?

Frankreich war im März gegen die Verlängerung der Zulassung für Glyphosat und bleibt bei dieser Position, wie Umweltministerin Ségolène Royal vor wenigen Tagen bekräftigte. Auch Italien will mit Nein stimmen. Die Niederlande, die im März auch gegen die Zulassung waren, sind dagegen umgeschwenkt. Großbritannien und Polen, zwei weitere große Länder mit hohem Stimmengewicht, haben sich nicht öffentlich zu ihrer Position geäußert. Enthaltungen sind von Bulgarien, Griechenland, Luxemburg, Malta, Österreich, Schweden und Slowenien zu erwarten. Sollte sich Deutschland enthalten, gäbe es keine qualifizierte Mehrheit für die Verlängerung der Zulassung und das Mittel müsste im Sommer vom Markt genommen werden.

Wie wird Deutschland abstimmen?

Das war am Mittwoch noch offen. Nachdem das Wirtschaftsministerium von Vizekanzler Sigmar Gabriel (SPD) vorige Woche seine Zustimmung zurückgezogen hatte, ist die Regierung gespalten. Versuche des Kanzleramts, den Streit zu schlichten, blieben zunächst erfolglos. Kanzlerin Angela Merkel (CDU) plädiert nach Auskunft ihres Sprechers Steffen Seibert für die weitere Zulassung von Glyphosat, wird aber kein Machtwort sprechen: In der Koalition herrsche Einigkeit, dass sich die Bundesrepublik enthalten werde, sollte kein Konsens zustande kommen.

Seibert war skeptisch, was die Aussichten auf solch einen Konsens angeht: Er habe Bemühungen um Einigkeit angekündigt, nicht deren Erfolg. Tatsächlich lässt ihr Veto den SPD-Ressorts wenig Spielraum, zumal Gabriel neuerdings fordert, eine Krebsgefahr müsse „absolut sicher“ ausgeschlossen sein. Das wird kein seriöser Wissenschaftler je bescheinigen. Dafür bindet es den SPD-Chef politisch um so fester. Allerdings scheut auch in den eigenen Reihen mancher die Folgen einer derart rigorosen Haltung. Fraktionsvize Ute Vogt etwa fordert bereits „Übergangsfristen“ für Bauern.

Wie wirkt Glyphosat?

Es dringt über grüne Teile wie Stängel und Blattwerk in die Pflanzen ein. Dort blockiert es das Enzym EPSPS, sodass die Bildung von drei wichtigen Aminosäuren unterbunden wird. Die Pflanze stirbt. EPSPS gibt es nur in Pflanzen, Pilzen und Mikroorganismen. Ob Glyphosat beim Menschen Krebs erregen kann, ist nicht sicher.

Schadet es der Gesundheit?

Schlagzeilen machte vor einem Jahr die Einschätzung der Internationalen Krebsagentur IARC, die zur WHO gehört. An Glyphosat klebt seitdem das Label „wahrscheinlich krebserregend“. So heißt die Kategorie 2A in dem wenig aussagekräftigen Bewertungssystem der Agentur. Sie interessiert sich nur dafür, ob ein Stoff prinzipiell beim Menschen Krebs erregen kann – unabhängig von der Dosis und unabhängig davon, wie stark ein Stoff das Krebsrisiko erhöht. So landen rotes Fleisch, Glyphosat und der Friseurberuf in einer Schublade. Seit 1971 hat die IARC fast 1000 Wirkstoffe, Gemische und Einflussfaktoren überprüft. Einen Freispruch gab es nur ein einziges Mal: für Caprolactam, einen Grundstoff der Plastikindustrie. Ein kräftiger Schluck aus der Glyphosatpulle ist also nicht empfehlenswert.

Das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR), die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (Efsa), die amerikanische Umweltbehörde EPA und zuletzt das „Joint Meeting on Pesticide Residue“ der UN-Organisationen WHO und FAO dagegen haben ein realistischeres Szenario beurteilt: Wenn Bauern Glyphosat versprühen, landen Rückstände in der Nahrung. Diese Reste seien weder erbgutverändernd noch krebserregend, so ihr Urteil. Zumindest sei es unwahrscheinlich.

Trotzdem formulieren sie Grenzwerte. Das BfR findet, dass ein Konsument ein Leben lang täglich höchstens 0,5 Milligramm pro Kilogramm Körpergewicht Glyphosat zu sich nehmen sollte. Bauern sollten höchstens mit 0,1 Milligramm pro Kilogramm Körpergewicht täglich in Berührung kommen. Werden diese Grenzen eingehalten, sei Glyphosat nicht krebserregend, nicht erbgutschädigend, nicht fortpflanzungsschädigend, nicht fruchtschädigend und nicht nervengiftig. Das Institut konnte auch kein Glyphosat in Muttermilch nachweisen.

Ist jedes Pflanzenschutzmittel mit Glyphosat unbedenklich?

Nein. Glyphosat wird oft als Gemisch verwendet, etwa mit einem Netzmittel, damit es besser an den Pflanzen haftet. Diese Stoffe können toxisch sein. Unter anderem das BfR fordert daher, dass formulierte Pflanzenschutzmittel separat bewertet werden sollten.

Welche Bedeutung hat das Herbizid für die Landwirtschaft?

In Deutschland werden 40 Prozent aller Äcker mit Glyphosat gespritzt. Der Absatz liegt hier im Durchschnitt der vergangenen Jahre bei 5000 Tonnen pro Jahr. Davon wurden 2015 etwa 94 Tonnen nicht in der Landwirtschaft verbraucht. In der globalen Landwirtschaft ist Glyphosat das meistverwendete Herbizid. Der konservative Europaabgeordnete Peter Liese (EVP) meint, es gebe in vielen Anwendungsbereichen keine Alternative, und die EU könne ja zum 30. Juni nicht komplett auf Bioanbau umstellen. Tatsächlich sieht das bundeseigene Julius-Kühn-Institut durchaus Alternativen zum Glyphosat-Einsatz, etwa das Unterpflügen von Unkraut. Allerdings erhöht das den Arbeitseinsatz und ist vielen Bauern zu teuer.

Warum sind Umweltgruppen so strikt gegen den Einsatz von Glyphosat?

Den Umweltverbänden geht es unter anderem um den Erhalt der Artenvielfalt. Der Einsatz von Herbiziden zerstört Lebensräume für Insekten und Vögel. Die Umweltverbände fühlen sich zudem von der Bevölkerung in ihrer Ablehnung bestätigt. In Umfragen sagen 70 Prozent der Befragten, sie seien für ein Verbot von Glyphosat. Dabei spielen Gesundheitsbedenken eine Rolle. In einem umfangreichen Urintest im vergangenen Jahr haben Wissenschaftler in 2009 Urinproben von Deutschen nur in acht kein Glyphosat gefunden. In der vergangenen Woche legten 49 Europaabgeordnete aus 13 Ländern ihre Urintests vor, auch auch da fand sich das Pflanzengift überall.

BUND-Aktivisten demonstrieren gegen Glyphosat. Die Umweltverbände haben ihre Kampagne monatelang verfolgt und sind selbst etwas überrascht über ihren Erfolg.
BUND-Aktivisten demonstrieren gegen Glyphosat. Die Umweltverbände haben ihre Kampagne monatelang verfolgt und sind selbst etwas überrascht über ihren Erfolg.

© obs/BUND/Jörg Faris

Glyphosat steht als Totalherbizid aber auch stellvertretend für die industrielle Landwirtschaft, die mehr und mehr an Legitimität verliert. Heike Moldenhauer vom BUND hat auch beobachtet, dass den Aufsichtsbehörden Efsa und BfR ein Grundmisstrauen entgegenschlägt. Das habe auch damit zu tun, dass die Behörden ihre Bewertungen vor allem auf nicht veröffentlichte Industriestudien gestützt haben. Die Dynamik der Debatte hat aber selbst Moldenhauer überrascht, die seit Jahren gegen den hohen Pestizideinsatz kämpft.

Welche Rolle spielt das Mittel für die Agrarindustrie?

Der US-Konzern Monsanto verdient mit dem 1974 erstmals in den USA zugelassenen Mittel Millionen. Das im Bundesstaat Missouri ansässige, börsennotierte Unternehmen ist nach eigenen Angaben Marktführer bei der Herstellung und macht knapp ein Drittel seines Gesamtumsatzes (2,1 Milliarden Euro im Jahr 2015) mit Glyphosat. Die Entwicklung eines solchen Stoffes dauert laut Monsanto-Manager Thoralf Küchler zehn bis zwölf Jahre und kostet eine Firma 250 Millionen Euro. Seine weltweite Monopolstellung als Glyphosat-Produzent flankiert Monsanto mit dem Vertrieb von Saatgut, das gegen die toxischen Stoffe des Herbizids resistent ist. Der Kurs der Monsanto-Aktie hat sich innerhalb der vergangenen zehn Jahre fast verdreifacht. Der Schweizer Agrarchemiekonzern Syngenta macht mit seinen glyphosathaltigen Mitteln einen Umsatz von einer knappen Milliarde Dollar. Alle großen Agrarchemiefirmen haben das Herbizid im Angebot. Mehrere chinesische Konzerne produzieren es ebenfalls.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false