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Politik: Der Strom führt zusammen

KAMPF GEGEN DIE FLUT

Von Hermann Rudolph

So sprechen Bilder. Das eine, vor ein paar Wochen, zog gleichsam den Vorhang vor einem Wunder weg. Unter dem Riesenkasten des Baugerüsts, das Stück für Stück abgetragen wurde, trat das schöne Maßwerk der Dresdener Frauenkirche hervor. Das Symbol einer großen, gemeinsamen Anstrengung erlebte sein Sichtbar-Werden, seine bewegende Auferstehung. Nun haben sich andere, gewaltsame Bilder davor geschoben, in wenigen Tagen, in Stunden: der überflutete Zwinger, evakuierte Stadtviertel, dramatische Rettungsaktionen. Dresden, die Stadt, die das Sinnbild des Wiederaufbaus in den neuen Ländern beheimatet, ist zum Symbol der Flut geworden, die Deutschland erschüttert hat.

Diese Woche hat das Land verändert. Denn das Geschehen entlang der Elbe füllt mittlerweile unseren Wahrnehmungs-Horizont weitgehend aus. Er sei Deutschlands Strom, nicht Deutschlands Grenze, beschwor seinerzeit Günter Gaus den Fluss, der für vierzig Jahre seine deutsch-deutsche Rolle spielte, teils trennend, teils verbindend. Nun drückt die große Flut diese Fluss-Zone in unser aller Bewusstsein – von Dresden bis Bitterfeld, ja, in ihrer mitteleuropäischen Verflechtung, von Prag bis Magdeburg. Verkörpert in lauter n, die bis gestern keiner kannte, Grimma und Mühlberg und Roßlau, die nun Schauplatz von abertausend Dramen und Kämpfen sind, wächst die Katastrophe in ungeahnte Dimensionen – eine nur noch national zu bewältigende Herausforderung.

Zum zweiten Mal richtet sich die Aufmerksamkeit auf diesen Raum. 1989/90 war es die Herbst-Revolution, die ein langes, noch längst nicht ans Ende gelangtes Aufbauwerk einleitete. Nun ist die Region zum Schauplatz von urtümlichen Erfahrungen geworden, umwittert ebenso von den Szenarien von Krieg und Vertreibung wie den globalen Visionen klimatischer Veränderungen. Und zugleich liefert sie große Beispiele von Einsatz, Moral und Solidarität.

Was werden wir mit dieser Erfahrung anfangen? Was wird übrig bleiben, wenn die Scheinwerfer abgestellt und die Reporter abgezogen sind? Dass der Schock sich sogleich umgesetzt hat in eine beeindruckend hohe Spendenbereitschaft lässt hoffen. Das bürgergesellschaftliche Signal – rechnen wir Michael Schumachers Eine-Million-Euro-Großzügigkeit ruhig hinzu – muss die Politik zu überlegtem und vor allem schnellem Handeln verpflichten. Der mitteleuropäische Gipfel in Berlin, zu dem der Kanzler eingeladen hat, ist ein richtiges Signal, genauso wie das Treffen des Kanzlerkandidaten mit den CDU-Ministerpräsidenten. Doch die Anstrengung, die vor uns steht, bemisst sich in einer ganz anderen Währung: in Milliarden und Jahren.

Alles wäre auf Dauer vergeblich, wenn die Bilder vergessen werden würden, die uns durch diese Tage begleiten: die Tausende von gebückten Rücken bei den Schanzarbeiten, die Menschenketten beim Weiterreichen der Sandsäcke, die Retter, die Verzweifelten, die Nachbarn. Vor fünf Jahren war es das Oder-Hochwasser, das dem Westen den Osten und dem Osten die Bundeswehr näher brachte. Diese ungleich größere Katastrophe ist nur zu bezwingen, wenn sie von neuem wieder zusammenführt, was zusammengehört. Auch das ist der nationale Kraftakt, von dem der Kanzler gesprochen hat.

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