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Politik: Der Tag des Anklägers

Besitzt Bagdad Massenvernichtungswaffen oder nicht? Nach Powells Auftritt sollen Experten prüfen

Von Barbara-Maria Vahl,

New York

Selten war ein Ereignis im Sicherheitsrat mit so großer Spannung erwartet worden wie der Auftritt des amerikanischen Außenministers Colin Powell. Er wollte endlich Beweise vorlegen, Beweise, die Saddam überführen sollten, Tod und Vernichtung zu planen. Wie erwartet legte Powell dem Sicherheitsrat Satellitenaufnahmen vor und spielte per Tonband vom Geheimdienst abgefangene Telefongespräche zwischen irakischen Offiziellen vor. Zudem bezog er sich auf Quellen von anonymen Augenzeugen, die aus dem Land geflohen seien und ihre Informationen „aus erster Hand und mit dem Risiko, dafür ermordet zu werden“, preisgegeben hätten. Quellen, die nun überprüft werden müssen, bis UN-Chefinspekteur Hans Blix am 15. Februar im Weltsicherheitsrat Bericht erstattet.

Eine der Satellitenaufnahmen zeigte, so Powell, 15 Waffenlager. In zumindest vieren von ihnen seien chemische Labore eingerichtet. Aufnahmen vom 10. November und später vom 22. Dezember sollen belegen, dass in dieser Zeit Materialien per LKW fortgeschafft worden und später die gesamte Anlage unkenntlich gemacht worden sei. Das gleiche beschrieb er anhand von Fotos für ein Lager, in dem angeblich Raketen gelagert wurden, von denen es keine Spur mehr gibt.

Direkt vor Beginn der UN-Inspektionen habe das irakische Regime an etwa 20 verschiedenen Anlagen zur Raketenproduktion verbotenes Material beiseite schaffen lassen, so einer der Vorwürfe Powells. Von 18 mobilen Forschungs- und Produktionslabors für biologische und chemische Waffen gebe es keine Spur. Sie seien kaum von Inspekteuren zu finden, da sie aussähen wie normale große Lastwagen. Weitere zum Teil detaillierte Vorwürfe Powells lauteten: Bagdad sei seiner Verpflichtung nicht nachgekommen, über den Verbleib relativ genau bezifferter Mengen biologischer und chemischer Waffen Auskunft zu geben. Irak baue auch nach Resolution 1441 weiterhin an Raketen mit 1200 Kilometern Reichweite, obwohl dem Regime nur solche mit 150 Kilometern erlaubt seien. Wissenschaftler würden systematisch daran gehindert, mit den Inspekteuren zusammenzuarbeiten. Sie und ihre Familien würden für den Fall nachgewiesener Kooperation oder der Flucht ins Ausland mit dem Tod bedroht. Etliche Wissenschaftler aus atomaren Programmen stünden in Husseins Palästen gemeinsam unter Hausarrest. Darüber hinaus versuchte Powell ausführlich und mit Beispielen, Verbindungen hoher irakischer Funktionäre mit Al Qaida nachzuweisen. Mit dem Hinweis auf gewaltige Menschenrechtsverletzungen im Irak schloss Powell: „Hussein rottet ruchlos alle aus, die ihm im Weg stehen, nichts deutet klarer auf die Gefahr, die er für uns alle bedeutet als die Grausamkeit gegenüber seinem eigenen Volk. Er wird nicht stoppen, bevor er nicht gestoppt wird.“ Und weiter: „Irak besitzt tödlichste Waffen und hat vor, sie zu benutzen.

Der gesamte Vortrag Powells war darauf abgestellt zu beweisen, dass Irak nicht nur „in keiner Weise aktiv mit den Inspekteuren zusammenarbeitet“, sondern weiterhin, wie schon seit zwölf Jahren, Sicherheitsrats-Resolutionen verletzt. Soweit aus den anschließenden Stellungnahmen der Sicherheitsratsmitglieder ablesbar ist, ist das unmittelbare Echo auf Powells Auftritt eher gedämpft. Er hat jedenfalls die Mitglieder des Sicherheitsrats nicht mit fliegenden Fahnen von der Notwendigkeit amerikanischen militärischen Vorpreschens überzeugen können.

Deutschlands Außenminister Joschka Fischer hat die Sitzung erstmals geleitet. Er sprach als letzter. Fischer betonte, dass die von Powell gegebenen Informationen sich „mit Informationen decken, die auch wir haben“. Der deutsche Geheimdienst hat den Amerikanern eigene Informationen zugänglich gemacht, die sie auch an Blix weiterleiteten. Fischers Stellungnahme lässt schließen, dass Powells Vortrag keine über deutsche Erkenntnisse hinausgehenden entscheidenden neuen Hinweise gebracht hat. Fischer bekräftigte ausdrücklich das Plädoyer seines französischen Kollegen für intensivierte und verlängerte Inspektionen. Der Sicherheitsrat solle „das Zentrum der Entscheidungsfindung in der Irak-Krise sein“. Die gesamte Verantwortung liege klar beim Irak.

Das Schlusswort hatte der irakische Botschafter Mohammed A. Aldouri, der sämtliche Vorwürfe Powells als ungerechtfertigt zurückwies. Er zitierte Zeitungsmeldungen der vergangenen Tage, unter anderem aus der „New York Times“, und benannte britische Quellen, nach denen es bisher keinerlei gesicherte Hinweise auf Verbindungen irakischer Offizieller zu Al Qaida gebe.

Barbara-Maria Vahl[New York]

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