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Politik: Der Trend ist kein Genosse

BRANDENBURG WÄHLT

Von Michael Mara

Politik kann unbarmherzig sein. Wie sich am Sonntag in Brandenburg zeigen wird. Es finden Kommunalwahlen statt, aber nicht die konkrete Kommunalpolitik vor Ort, die Kompetenz ihrer Akteure, entscheidet über den Ausgang. Die großen bundespolitischen Debatten um Gesundheit, Renten, Steuern, Arbeit, kurz: die rotgrünen Zumutungen, beeinflussen den Wähler mehr als alles andere. Unzufriedene werden in Scharen zu Hause bleiben, und man muss kein Prophet sein für diese Vorhersage: Die Sozialdemokraten werden abgestraft. So war es bei den Kommunalwahlen in Schleswig-Holstein, so war es in Hessen, Niedersachsen und Bayern, so wird es in Brandenburg sein, wo Sozialdemokraten bisher die meisten Rathäuser regieren. Daraus leiten sie ihren Machtanspruch auf das ganze Land ab. Deshalb geht es bei der Kommunalwahl auch schon um die Landtagswahl in zwölf Monaten und damit um die Frage: Wird der künftige Ministerpräsident Matthias Platzeck oder Jörg Schönbohm heißen?

Platzeck ist in Nöten. Gerade mal anderthalb Jahre im Amt, ist die Wahl am Sonntag seine erste als Partei- und Regierungschef. Er müsste sie gewinnen, wenn sein Nimbus als Hoffnungsträger, den manche sogar als Nachfolger von Gerhard Schröder sehen, nicht leiden soll. Aber nicht nur wegen des rot-grünen Reform-Wirrwarrs ist die Stimmung von der Prignitz bis zur Lausitz so schlecht wie nie zuvor. Das hoch verschuldete Land ist ein Sanierungsfall, den Kommunen steht das Wasser bis zum Hals. Die Randregionen veröden und verarmen, die Jungen, die Klugen wandern ab. Eine deprimierende Nachricht jagt die nächste. Nach den spektakulären Pleiten von Cargolifter, Lausitzring, Landesentwicklungsgesellschaft steht jetzt die Frankfurter Chipfabrik vor dem Aus. Auch in dieses Projekt aus der Stolpe-Ära flossen Steuergelder in Millionenhöhe – wie so oft in Brandenburg regierten das Prinzip Hoffnung und Mittelmaß.

Nach 13-jähriger Vorherrschaft zeigt die SPD Verschleißerscheinungen und Profilmängel. Auch der Generationswechsel von Stolpe zu Platzeck, dessen Strategie für den Aufbruch vage geblieben ist, hat daran nichts geändert. In großen Städten ist die Erosion am deutlichsten zu spüren, so etwa in Frankfurt an der Oder, wo die CDU bereits die Oberbürgermeister-Wahl gewann. Nur 23 Prozent wollen am Sonntag SPD wählen, jeder Dritte die Union. Kein Wunder, dass CDU-Landeschef und Innenminister Jörg Schönbohm die Chance wittert, im nächsten Jahr die Macht im „SPD-Land“ Brandenburg übernehmen zu können.

Schon einmal schaffte der Herausforderer, was als schier aussichtslos galt. Kaum nach Brandenburg gewechselt, führte der Berliner Ex-Senator 1999 die zerstrittene märkische Union in die Regierung und brach Stolpes Alleinherrschaft. Die Frage wird sein, ob Schönbohms mächtigster Verbündeter, der „Bundestrend“, ihm bis zur Landtagswahl im nächsten Jahr die Treue halten wird. Denn auf der Sympathie-Skala der Brandenburger kann der forsche Ex-General aus dem Westen nicht mit dem Hoffnungsträger aus dem Osten, dem Hochwasser-Helden, mithalten. Wie einst sein Ziehvater Stolpe ist Platzeck der mit Abstand beliebteste Politiker im Land, wenngleich die SPD davon bisher nicht profitiert.

Schönbohm oder Platzeck – das ist mehr als ein Personenduell. Das sind konträre Prägungen, Politikstile, Leitbilder. Schönbohm hat der „kleinen DDR“ des Fürsorgers Stolpe den Kampf angesagt. Er setzt auf Eigenverantwortung, auf weniger Anspruchsdenken und Staatsgläubigkeit. Die Erfahrungen aus der DDR sind für ihn kein Zukunftsmodell. Aber trifft der Law-and-Order-Politiker, dessen jüngste Forderung nach Fußfesseln für Schulschwänzer ein vernichtendes Echo auslöste, die Seelenlage der Brandenburger? Es mag an solchen Kapriolen liegen, dass der 66-Jährige nach Stolpes Abtritt nicht die Rolle des Landesvaters übernehmen konnte. Und Platzeck? Der Konsenspolitiker will das Land modernisieren, aber behutsamer, sozialer, mit Rücksicht auf ostdeutsche Befindlichkeiten. Der Westen kann vom Osten lernen, lautet seine Devise.

Politik kann unbarmherzig sein: Mit den Kommunalwahlen am Sonntag wird der „Kulturkampf“ im Land Brandenburg eröffnet.

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