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Der türkische Premier Erdogan: Das höchste Staatsamt fest im Blick

Der türkische Premier Erdogan will am Sonntag zum letzten Mal als Chef der Regierungspartei kandidieren. Langfristig bereitet er seinen Wechsel ins Präsidentenamt vor. Wohin steuert das Land?

Der türkische Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan will seine Laufbahn als Vorsitzender der Regierungspartei AKP in absehbarer Zeit beenden: Bei einem AKP-Parteitag am kommenden Sonntag kandidiert Erdogan zum vierten und letzten Mal als Parteichef. Doch der 58-Jährige zieht sich nicht aus der Tagespolitik zurück, um Rosen zu züchten oder mit seinen Enkeln zu spielen. Er tritt ab, um wieder anzutreten – und zwar als Präsident.

Wie will Erdogan den Wechsel

ins Präsidialamt bewerkstelligen?

Erdogans großes Ziel ist es, der Türkei beim hundertjährigen Republiksjubiläum im Jahr 2023 als Staatschef vorzustehen – spätestens dann wäre ihm ein dickes Kapitel in den Geschichtsbüchern gewiss. Auch wenn Erdogan selbst seine präsidialen Ambitionen bisher nicht bestätigt hat, sind sie ein offenes Geheimnis. „Eins ist sicher: Er will Präsident werden“, sagt Okay Gönensin, Kolumnist der Zeitung „Vatan“ und erfahrener Beobachter des Ankaraner Politbetriebes.

In zwei Jahren wählen die Türken einen neuen Präsidenten – als AKP-Chef hätte Erdogan also noch Zeit bis 2014, um einen Nachfolger aufzubauen. Schon im vergangenen Jahr hatte Erdogan angekündigt, bei der Parlamentswahl 2015 nicht mehr als Abgeordneter zu kandidieren. Da der Ministerpräsident in der Türkei aus dem Parlament kommen muss, ist damit auch das Ende von Erdogans Ära als Regierungschef vorgezeichnet.

Unklar ist allerdings, welcher Politiker stark genug ist, um die AKP – ein Zusammenschluss aus Reformern, Nationalisten und Religiösen – zusammenzuhalten, wenn Erdogan einmal ausgeschieden ist. Offen ist auch, ob der derzeitige Staatspräsident, Erdogans alter Freund Abdullah Gül, in zwei Jahren sein Amt aufgeben wird, um für Erdogan Platz zu machen. Einer neuen Umfrage zufolge genießt Gül mehr Sympathien bei den türkischen Wählern als Erdogan.

Eine Kampfkandidatur von Erdogan und Gül um das höchste Staatsamt gilt als ausgeschlossen. Spekuliert wird über einen Ämtertausch nach russischer Art, der Erdogan in den Präsidentenpalast bringen würde und Gül ins Ministerpräsidentenamt. Als Präsident wären für Erdogan zwei jeweils fünfjährige Amtsperioden möglich – seine Amtszeit würde also bis maximal 2024 reichen.

Hätte Erdogan als Präsident

größere Machtbefugnisse?

Unter der derzeitigen Verfassung hat der türkische Präsident vor allem zeremonielle Befugnisse. Doch Erdogan macht keinen Hehl daraus, dass er einen Wechsel vom derzeitigen System der parlamentarischen Demokratie hin zu einer präsidialen Demokratie wie in Frankreich befürwortet. Kritiker bemängeln, in Erdogans Vorstellungen fehlten die demokratischen Kontrollinstanzen, um die Macht des Präsidenten zu begrenzen.

Es ist unwahrscheinlich, dass die AKP in derzeit laufenden Allparteien-Gesprächen über eine neue Verfassung das Thema der Präsidialrepublik zu einem Knackpunkt machen wird. Nach Presseberichten will Erdogan den Türken noch etwas Zeit geben, um sich an einen starken Präsidenten zu gewöhnen und erst 2019 den Wechsel zum neuen System einleiten.

Welchen Kurs will Erdogan

der Türkei vorgeben?

Unter einem Präsidenten Erdogan dürfte die Türkei den Weg weitergehen, den sie in den vergangenen Jahren begonnen hat – und der aus einer Mischung aus Modernisierung und konservativen Tendenzen besteht. Insbesondere in der Wirtschaftspolitik wird Erdogan weiter auf Öffnung und Liberalisierung setzen. Nach Presseberichten will er beim Parteitag am Sonntag zudem einige politische Reformen ankündigen (siehe Kasten).

Trotz der Reformen der vergangenen Jahre bleiben Erdogans Kritiker überzeugt, dass die AKP die Türkei in einen islamistischen Staat verwandeln will. Sie verweisen unter anderem auf die Besserstellung religiöser Schulen im Rahmen einer kürzlich erfolgten Bildungsreform, steigende Alkoholsteuern und die Freigabe des islamischen Kopftuches an den Universitäten des Landes.

Der fromme Muslim Erdogan hat diese Veränderungen zumindest zum Teil aus persönlicher Überzeugung vorangetrieben. Doch zum Teil entsprechen die Entwicklungen auch den politischen Realitäten des Landes: Die Mehrheit der türkischen Wähler ist islamisch-konservativ, ohne einen islamischen Gottesstaat zu wollen. Wenn Kopftuchfrauen plötzlich in teuren Autos durch die Städte fahren, weil auch sie Anteil am Wirtschaftsaufschwung haben, dann mag das für manche türkische Säkularisten wie eine Bedrohung wirken – für die meisten türkischen Wähler ist es eine längst überfällige Entwicklung. Die säkularistische Opposition hat bisher kein Mittel gegen Erdogans Erfolgsrezept aus Wirtschaftsaufschwung, politischen Reformen und konservativer Grundhaltung gefunden.

Wo steht die Türkei?

Seit dem Machtantritt der AKP im November 2002 hat Erdogan die Partei zu drei aufeinanderfolgenden Wahltriumphen geführt. Gleichzeitig erlebte das Land einen nie dagewesenen Wirtschaftsboom: Das Bruttoinlandsprodukt hat sich innerhalb von zehn Jahren verdreifacht, die früher als „kranker Mann Europas“ bekannte Türkei ist heute Mitglied der G 20, des Klubs der 20 größten Volkswirtschaften der Welt. Bis zum Republiksjubiläum im Jahr 2023 soll die Türkei den Sprung unter die größten zehn schaffen.

Erdogan beendete die Vormundschaft der türkischen Militärs über die Politik; die Generäle, die seit 1960 vier türkische Regierungen gestürzt haben, verloren einen Großteil ihrer Macht. Erst vergangene Woche wurden mehrere hundert aktive und pensionierte Offiziere wegen Beteiligung an Putschvorbereitungen gegen Erdogan zu langen Haftstrafen verurteilt.

Unter der AKP reformierte die Türkei viele ihrer alten Gesetze und erweiterte bürgerliche Freiheitsrechte wie die Meinungsfreiheit. Allerdings wurden viele Fortschritte in jüngster Zeit durch eine restriktive Auslegung des Anti-Terror-Gesetzes wieder rückgängig gemacht. Der AKP wird auch vorgeworfen, führende Positionen in staatlichen Institutionen wie der Polizei mit Gefolgsleuten zu besetzen und mit einem solchen Verstoß gegen rechtsstaatliche Grundsätze ihre Machtstellung zu zementieren.

Außenpolitisch setzte Erdogan in den vergangenen Jahren den Beginn von Beitrittsverhandlungen mit der EU durch und untermauerte den Anspruch der Türkei auf eine regionale Führungsrolle in Nahost. Es ist kein Zufall, dass der neue ägyptische Präsident Mohammed Mursi und der Chef der kurdischen Autonomiezone im Nordirak, Masud Barsani, am Sonntag unter den Ehrengästen des AKP-Parteitags sein werden. Auch Altbundeskanzler Gerhard Schröder (SPD), in dessen Regierungszeit die EU-Gespräche mit der Türkei ausgehandelt wurden, wird in Ankara erwartet.

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