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Der Sitzungssaal des Parlaments.

© Patrick Seeger/dpa

Der unterschätzte Riese: Wie im Europaparlament unsere Gesetze entstehen

Abgeordnete in Straßburg und Brüssel nehmen großen Einfluss auf die Gesetze in der EU. Eine zentrale Rolle dabei spielen die sogenannten Berichterstatter.

Das Europaparlament mit seinen derzeit 751 Sitzen (nach dem Brexit sollen es 705 sein) ist weltweit das einzige transnationale Parlament mit Gesetzgebungskompetenzen. Und es hat seinen Einfluss seit der ersten Europawahl im Jahr 1979 massiv ausgebaut. Bei jeder Änderung der europäischen Verträge kamen neue Kompetenzen hinzu. In vielen Politikbereichen fallen inzwischen die zentralen Entscheidungen nicht mehr in den nationalen Parlamenten und schon gar nicht im Bundesland, sondern auf EU-Ebene.

Vor allem die so genannten Berichterstatter unter den Abgeordneten nehmen eine Schlüsselrolle im Gesetzgebungsverfahren ein. Die in den Gesetzgebungsverfahren federführenden Ausschüsse im Parlament benennen jeweils Berichterstatter für Gesetzgebungsvorschläge, die die EU-Kommission vorgelegt hat.

Die Berichterstatter haben dann die wichtige Aufgabe, dazu das Meinungsspektrum im Parlament zu bündeln, Spielräume für Kompromisse auszuloten und am Ende Mehrheiten für den Parlamentsbeschluss zu organisieren. Die Berichterstatter müssen sich tief in die Materie einarbeiten. Sie sind über viele Monate fast ausschließlich mit ihrem Gesetzgebungsvorhaben beschäftigt, im EU-Slang „Dossier“ genannt.

Am Ende haben sie aber große Gestaltungsmöglichkeit auf das Gesetz, sei es eine EU-Richtlinie oder eine Verordnung. Ihr Einfluss ist durchaus mit dem Einfluss eines Bundesministers auf ein Bundesgesetz vergleichbar. Es hängt von der Größe der Fraktion ab, wie häufig eine europäische Parteienfamilie die Gelegenheit bekommt, den Berichterstatter zu stellen.

Wenn sich der Ministerrat und das Parlament nicht einig sind, kommt es meist zu informellen Vermittlungsverfahren, den so genannten Trilogen. Dabei sind die Berichterstatter so etwas wie die Chefunterhändler des Parlaments und suchen mit je einem Vertreter der Mitgliedstaaten und der Kommission einen Kompromiss.

Die Rolle der Berichterstatter

Drei deutsche EU-Abgeordnete, die in der vergangenen Wahlperiode als Berichterstatter wichtige Gesetzgebungsvorhaben auf europäischer Ebene begleitet und zum Abschluss gebracht haben, sind der Grüne Jan Philipp Albrecht, die Sozialdemokratin Evelyne Gebhardt und der Christdemokrat Axel Voss.

Der Grüne Albrecht zog 2009 mit 26 Jahren als jüngster deutscher Abgeordneter ins Europaparlament ein. Da trat gerade der Lissaboner Vertrag in Kraft, der dem Parlament weitreichende Mitwirkungsmöglichkeiten in der Innenpolitik und damit beim Datenschutz gab. Der Jurist Albrecht arbeitete sich in die Tiefe des Datenschutzes ein, wurde vom Innenausschuss zum Berichterstatter für die EU-Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) ernannt, die seit 2018 in nationales Recht umgesetzt sein muss und inzwischen seit über einem Jahr scharf gestellt ist.

Das Europäische Parlament in Straßburg.
Das Europäische Parlament in Straßburg.

© Karl-Josef Hildenbrand/dpa

Heute gilt Albrecht als Architekt der neuen Spielregeln für die Verarbeitung von personenbezogenen Daten durch Unternehmen und staatlichen Stellen in der EU. Er hat das EU-Recht maßgeblich an die Anforderungen im digitalen Zeitalter angepasst. Der Rechtsrahmen hat inzwischen beinahe Weltstandard: Auch Konzerne, die in den USA oder in Asien ansässig sind, richten sich nach den Vorgaben der DSGVO. Albrecht hat inzwischen die europäische Bühne verlassen und ist seit 2018 Nachfolger von Robert Habeck (Grüne) als Umweltminister in Schleswig-Holstein.

Große Bedeutung der Verbraucherrechte

Das Spezialgebiet der Sozialdemokratin Evelyne Gebhardt, die in Frankreich geboren ist, in Baden-Württemberg wohnt und seit 1994 dem Europaparlament abgehört, ist seit vielen Jahren der Verbraucherschutz. Gebhardt, die seit 2017 Vizepräsidentin des Europaparlaments ist, hat als Berichterstatterin für die Richtlinien für digitale Inhalte und den Warenhandel die Verbraucherrechte ins Zeitalter der Digitalisierung und des Onlineshoppings überführt.

Sie hat etwa EU-einheitliche Verbraucherrechte bei allen Produkten durchsetzen können, die eine digitale Komponente enthalten. Dies betrifft internetfähige Kühlschränke, Smartphones, Tablets und selbstfahrende Autos. Die Gewährleistungsrechte des Verbrauchers wurden massiv gestärkt, die Hersteller werden etwa verpflichtet, über den gesamten Lebenszyklus eines Produktes Softwareupdates zur Verfügung zu stellen. Die Bedeutung des neuen EU-Rechts, das ab Oktober 2021 EU-weit gilt, ist groß: Schätzungen gehen davon aus, dass es 2020 weltweit 21 Milliarden internetfähige Produkte gibt. Das sind zweieinhalb Mal so viele wie 2017.

Der Rechtspolitiker Axel Voss (CDU) zählt zu den zurückhaltenden Abgeordneten in Straßburg und Brüssel. Doch der 56-jährige Rheinländer wurde europaweit bekannt, weil er als Berichterstatter des Parlaments für die Reform des Urheberrechts zuständig war. Er setzte am Ende durch, dass zum einen die digitalen Plattformen wie Google und Apple haften, wenn Nutzer über ihre Seiten urheberrechtlich geschütztes Material wie Musik oder Videos herunterladen.

Zum anderen stärkte er die Verhandlungspositionen von Zeitungsverlegern gegenüber Google und CO.: Verlage sollen in Zukunft einen Rechtsanspruch auf finanzielle Entschädigung haben, wenn digitale Plattformen Zeitungsartikel oder längere Auszüge daraus bringen. Voss wurde von Kritikern der Reform hart angegriffen. Sie warfen ihm vor, die Freiheit im Internet begrenzen zu wollen.

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