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Politik: Der vorletzte Mohikaner

Von Robert Birnbaum

Hat der Aufrechte keine Heimat mehr in der Politik? Man kann sich die Frage ja stellen im Angesicht des Falles Horst Seehofer. CDU und CSU haben ihren heillosen Streit über die Gesundheitspolitik unter einem Kompromiss zu begraben versucht. Alle wissen, dass das Ergebnis windig ist und nicht besonders praxistauglich. Alle heben trotzdem die Hand und stimmen zu. Nur einer nicht. Nur Horst Seehofer spricht aus, was heimlich alle denken. Und bevor er widerruft, schweigt er lieber.

Der letzte Aufrechte? Er selbst will zweifellos so gesehen werden: Ein Galileo Galilei des Sozialstaats, der sich gegen die amtskirchlich verordneten Irrlehren stemmt, zur Strafe von üblen Machttechnikern über den Tisch gezogen wird. So wünschen wir uns unsere Politiker, aufrecht, unbeirrbar, geradlinig. Ein hehres Bild. Leider ist es ein Mythos. Die Wahrheit ist banaler und kleinkarierter.

Horst Seehofer hat versucht, die Union in eine Richtungsentscheidung zu zwingen. Der Versuch ist missglückt. Das war absehbar. Es hätte von der CDU und ihrer Chefin Angela Merkel nicht weniger erfordert als ihrem Reformkurs abzuschwören. Dass das ein bisschen viel verlangt wäre, war der CSU und Edmund Stoiber beizeiten klar, zumal sie im Grundsatz in München gegen diesen Kurs gar nichts haben außer dem Bedenken, ob er wohl populär sei. Beide Seiten hatten aber auch erkannt, dass der Preis für die Durchsetzung der jeweils reinen Lehre die Spaltung der Union gewesen wäre. Merkel und Stoiber haben die Notbremse gezogen. Es hat mächtig gequietscht und geschleudert, und dann war da ein Gesundheitskompromiss, dessen Hauptziel erkennbar darin liegt, dass beide Seiten ihr Gesicht wahren können.

Seehofer hat gegen dieses Verfahren Krawall geschlagen. Mit den Stammtischen der Republik wird er da schnell einig werden, weil dort Politik ohnehin als schmutziges Geschäft gilt. Nur: Aufrichtig ist er nicht. Der Politiker Seehofer hat das Spiel Politik selbst viel zu intensiv mitgespielt, Rempeleien, Intrigen und andere Regeln der Kunst eingeschlossen. Erst seit die Dinge nicht mehr in seinem Sinne laufen, erklärt er die Regeln für unfair und stellt sich mit verschränkten Armen neben das Spielfeld.

Im Fußball gäbe das die rote Karte. Das hat sich Edmund Stoiber nicht getraut. Der vorläufige Ausgang der Affäre verrät viel über den Zustand der CSU im Speziellen und der Union im Allgemeinen. Im Grunde ist Horst Seehofer der letzte Mohikaner vom Stamme Norbert Blüms. Inhaltlich folgen ihm in vielen Dingen nicht einmal mehr die Sozialpolitiker der eigenen Couleur. Dass er in der CDU/CSU-Fraktion nicht für die Gesundheitspolitik zuständig sein wird, ist auch deshalb keine Maßregelung eines Aufrichtigen, sondern folgerichtig. Wer die Mehrheitsmeinung nicht vertreten kann, kann die Mehrheit nun mal nicht vertreten.

Aber Stoiber glaubt ansonsten auf die Person Seehofer nicht verzichten zu können und auf die Botschaft, die der Zwei-Meter-Mann in den Augen vieler Menschen verkörpert. Es ist die Botschaft, dass die alte, kuschelige Republik mit ihrer Politik der kleinen Schritte irgendwie doch weiterlebt, dass wir keine harten Reformen brauchen, sondern nur weiche. Aber wie der Mann das künftig vertreten soll – zuständig für was auch immer, nur nicht für sein Thema? Die Affäre ist nicht zu Ende, sie fängt erst an. Stoiber hat der Union einen Galilei beschert. Jedes Wort, das Seehofer zur Gesundheitspolitik nicht mehr sagt, ist ein einziges „Und sie bewegt sich doch“.

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