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Politik: "Der Westen hat noch nicht realisiert, daß man sich im Krieg befindet"

DEBAR .Vor gut zwei Monaten saß Blerim Shala als Mitglied der Delegation der Kosovo-Albaner mit am Verhandlungstisch in Frankreich.

DEBAR .Vor gut zwei Monaten saß Blerim Shala als Mitglied der Delegation der Kosovo-Albaner mit am Verhandlungstisch in Frankreich.Jetzt hat es den Publizisten nach Debar in den mazedonischen Bergen an der Grenze zu Albanien verschlagen.Auch im entlegenen Exil ist er gefragter Gesprächspartner der westlichen Diplomaten, die ihn noch von Pristina her schätzen.Während des Gesprächs im Café Miami klingelt mehrmals das Handy und "Paris" oder "London" melden sich.Trotz der Massenvertreibungen und der zivilen Opfer hält Shala die Luftangriffe der Nato nach wie vor für richtig.Milosevic habe von Rambouillet bis Paris keinen Millimeter nachgegeben.Seine Botschaft sei gewesen: "Bombardiert mich".Milosevic habe darauf gesetzt, die Nato werde nach höchstens zehn Tagen wegen interner Dissonanzen die Luftangriffe einstellen und den jugoslawischen Präsidenten "auf den Knien" um eine Unterschrift unter ein für Belgrad vorteilhafteres Kosovo-Abkommen bitten.

Blerim Shala wirft jedoch auch der Nato Fehleinschätzung und mangelhafte Strategie vor: "Im Westen hat man noch nicht realisiert, daß man sich im Krieg befindet." Die westliche Allianz wolle gegen Milosevic gewinnen, ohne Opfer in den eigenen Reihen in Kauf zu nehmen.Die Entsendung von Bodentruppen wäre nach Ansicht Shalas die Voraussetzung für einen Sieg über den Autokraten in Belgrad gewesen.

Verspätet aber könnten die Hoffnungen Milosevics in Erfüllung gehen.Es könnte jetzt für die westliche Allianz offenbar nur noch darum gehen, die Luftangriffe möglichst schnell zu beenden, ohne "das Gesicht zu verlieren", befürchtet Shala.Und das würde neue Konzessionen an Belgrad bedeuten.Von den Vertriebenen werde sicher niemand zurückkehren, wenn auf der anderen Seite der Grenze noch die serbischen Kontrollposten warteten, warnt der Publizist aus Pristina.Er befürchtet zudem, daß der Westen wie beim Bosnien-Friedensvertrag von Dayton die Probleme auf dem Balkan wieder nur isoliert betrachten wird: Etwa, wenn die internationale Gemeinschaft sich mit einer provisorischen Befriedung im Kosovo zufriedengibt, gleichzeitig jedoch die Demokratisierung Serbiens oder den Status Montenegros ausklammert.Milosevic würde an der Macht bleiben und hätte noch genug Potential für weitere Konflikte.

Blerim Shala richtet jedoch auch eindringliche Worte an die in alle Winde verstreute Führung der Kosovo-Albaner.Er bestreitet nicht, daß die Kosovo-Albaner wie schon vor den Verhandlungen von Rambouillet gespalten sind.So gibt es derzeit zwei "provisorische Regierungen", den "Präsidenten" Rugova im deutschen Exil und die Kommandanten der "Kosovo-Befreiungsarmee" (UCK).Einige Politiker hat es nach Albanien, nach Mazedonien oder nach Westeuropa verschlagen.Andere sind im Kosovo untergetaucht."Wir sind nur noch Objekte, wir werden nicht mehr gefragt", beklagt Blerim Shala.Die Kosovo-Albaner müßten verhindern, daß über ihre Köpfe hinweg Kompromisse geschmiedet werden.Als Opfer könnten die Kosovo-Albaner moralischer Faktor sein.Doch dazu müsse die Führung geschlossen auftreten und mit einer Stimme sprechen.Es reiche nicht, Opfer zu sein: "Wir müssen dem Westen auch beweisen, daß wir die Freiheit verdient haben." Bei den internen Streitigkeiten gehe es mehr um Macht als um inhaltliche Fragen, unterstreicht Blerim Shala: Ein "Rambouillet plus", ein Protektorat für Kosovo, sei für die Kosovo-Albaner die einzige akzeptable Lösung.

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