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Politik: "Der Westen scheint müde, wir sind frisch"

Polens Präsident über EU-Erweiterung, NS-Entschädigung und die Krise der CDU/CSUAleksander Kwasniewski (45) ist seit 1995 Polens Präsident und kann nach allen Umfragen mit einer überzeugenden Wiederwahl im Herbst rechnen. Am Sonntag trifft er Bundespräsident Johannes Rau in Gnesen - in Erinnerung an das erste überlieferte Treffen der damaligen Herrscher der Deutschen und der Polen an diesem Ort vor tausend Jahren, den symbolischen Beginn der deutsch-polnischen Beziehungen.

Polens Präsident über EU-Erweiterung, NS-Entschädigung und die Krise der CDU/CSU

Aleksander Kwasniewski (45) ist seit 1995 Polens Präsident und kann nach allen Umfragen mit einer überzeugenden Wiederwahl im Herbst rechnen. Am Sonntag trifft er Bundespräsident Johannes Rau in Gnesen - in Erinnerung an das erste überlieferte Treffen der damaligen Herrscher der Deutschen und der Polen an diesem Ort vor tausend Jahren, den symbolischen Beginn der deutsch-polnischen Beziehungen.

An diesem Sonntag erinnern Sie gemeinsam mit Bundespräsident Rau und fünf weiteren Staatsoberhäuptern in Gnesen an das Treffen von Kaiser Otto III. und dem polnischen Herrscher Boleslaw Chrobry dort vor tausend Jahren. Was bedeutet das historische Datum für die heutige Politik?

Der Kongress von Gnesen öffnete vor tausend Jahren das westliche, das christliche Europa nach Mittel- und Osteuropa. Es war der erste Versuch, Europa politisch zu fassen. Und der Beginn einer guten deutsch-polnischen Nachbarschaft, die sich über Jahrhunderte entwickelte. Später wurde es weniger erfreulich, deshalb sprachen die Historiker eine Zeit lang von tausend Jahren Feindschaft statt von tausend Jahren Nachbarschaft. Heute gehen wir nach Gnesen, um uns zum gemeinsamen Europa mit gemeinsamen Werten zu bekennen, die auf dem Christentum aufbauen, auf Dialog und Zusammenarbeit. Es geht um den Abbau der Barrieren und Grenzen, die es immer noch gibt, um die endgültige Überwindung von Jalta. Die Länder der sieben Präsidenten - neben Deutschland und Polen Tschechien, Ungarn, die Slowakei, Litauen und die Ukraine - wurden von der Mission des heiligen Adalbert geprägt und orientierten sich zum römischen Christentum, nicht nach Byzanz.

Es besteht eine gewisse Asymmetrie: Der Westen ist in der EU, Polen will rein; der Westen ist reicher. Erschwert das eine gleichberechtigte Begegnung?

Es gibt ein wirtschaftliches Gefälle. Aber so wie Kaiser Otto und Fürst Boleslaw damals eine Vision hatten und gemeinsam etwas zum beiderseitigen Nutzen aufbauen wollten, so ist es heute mit der EU-Erweiterung. Sie bedeutet nicht, dass die reichen Länder auf ein niedrigeres Niveau absteigen. Sondern die ärmeren passen sich nach oben an. Deutschland verdient daran. Der Integrationsprozess wird uns einander näher bringen und die Unterschiede verringern.

Was bringt Polen in dieses Europa ein?

Unsere strategische Lage, die uns viel Leid eingetragen hat, aber ebenso viel Kompetenz im Umgang mit den Nachbarn, gerade denen im Osten. Polen leistet viel für die Stabilität dieser Region. Polen bringt 39 Millionen Bürger ein, ist das mit Abstand größte Land unter den Beitrittskandidaten und hat eine sehr junge und dynamische Gesellschaft. Der Westen scheint manchmal schon ein wenig müde in Bezug auf Europas Integration. Wir sind frisch und voll Energie.

Wo liegen die Grenzen dieses Europa?

Zunächst müssen die heutigen Beitrittskandidaten integriert werden. Russland wird immer an einer intensiven Zusammenarbeit interessiert sein. Besonders wichtig aber sind die Türkei und die Ukraine, weil sie an den Grenzen zu anderen Kontinenten liegen. Europas Architektur wird sich fundamental unterscheiden, je nachdem ob sich die Türkei zur islamischen Welt und nach Zentralasien orientiert oder nach Europa. Und ebenso, ob die Ukraine sich nach Osten oder nach Westen neigt.

Soll die Ukraine also Beitrittskandidat werden wie die Türkei?

Das sind zwei verschiedene Fälle. Die Türkei ist Nato-Mitglied und wirtschaftlich weiter entwickelt. Aber auch die Zukunft der Ukraine entscheidet über Europas Gestalt.

Die polnischen Medien berichten besorgt über Signale aus Brüssel, Polens EU-Beitritt werde sich verzögern - teils wegen Haider, teils wegen mangelnder Vorbereitung Polens.

Wir protestieren energisch gegen Signale, die Erweiterung zu verzögern, angeblich sogar von Kommissionspräsident Romano Prodi. Wir wollen Ende 2002 beitrittsbereit sein. Zu Österreich: Polen reagiert empfindlich auf alle Versuche, die Naziverbrechen oder den Holocaust zu relativieren. Da gibt es keinen Ermäßigungstarif, auch nicht für ein Land wie Österreich, dem die Polen sehr dankbar dafür sind, dass es in Zeiten politischer Verfolgung mehrfach der erste Zufluchtsort war. Man darf keinem demokratischen Land vorschreiben, welche Koalition zu regieren hat. Aber wir haben unsere Messlatte: Wie steht Wien zur Integration Europas, kommt die Entschädigung für Zwangsarbeiter, wie geht Österreich mit Einwanderern um? Insofern unterstützen wir die Reaktion der EU-Staaten.

Und wie würde Polen reagieren, wenn die EU-Partner sich eines Tages mit Boykotten in die Innenpolitik einmischen?

In Polen wäre eine Partei wie die Haiders nicht denkbar. Es gibt keine nennenswerte Gruppe, die die Verbrechen der Nazis oder des Kommunismus leugnet. Die Verfassung verbietet in Artikel 13 alle solchen Kräfte und Führerparteien. Entscheidend ist eine andere Frage: Wie viele Bürger stehen hinter Haiders Slogans, wie stark ist die Euroskepsis in der EU? Da schauen wir auch aufmerksam auf Deutschland. Die Bundesregierung befürwortet die Erweiterung zum Glück und unterstützt uns nach Kräften. Aber was wird aus der CDU, wie steht sie nach der Krise zur europäischen Integration? Es ist ein Unterschied, wie Helmut Kohl sich dazu äußerte und was Ministerpräsident Stoiber sagt.

Wie wären die Reaktionen in Polen, wenn die Erweiterung sich tatsächlich verzögert?

Wir sind fest entschlossen alles zu tun, um 2003 beizutreten. So ein Datum erzeugt Druck, auch Unangenehmes zu erledigen. Es ist aber auch ein Signal an die EU, die innere Reform abzuschließen, um bis dahin aufnahmefähig zu werden. Bis Ende 2002 bleiben noch 33 Monate.

Sie sind skeptisch, dass die planmäßige Erweiterung nicht an mangelnder Vorbereitung der Kandidaten, sondern an der fehlenden Reform der EU scheitern könnte?

Ich bin nicht skeptisch, sondern entschlossen. Ein Risiko gibt es auf beiden Seiten. Wenn beide Seiten entschlossen sind, ist es zu schaffen. Wenn die Entschlossenheit auf einer der Seiten fehlt, verzögert sich die Erweiterung. Und wenn beide ihre Probleme nicht in den Griff bekommen, wird es noch länger dauern. Ein bisschen Verzögerung aus nachvollziehbaren Gründen kann man den Polen erklären. Ein langes Offenhalten ohne festes Datum würde die Euroskepsis vieler Polen wachsen lassen, im Sinne: Die EU will uns nicht, betrügt uns. Aber das ist theoretisch, so wird es nicht kommen. Die Unterstützung der Polen für die EU ist hoch ...

in einer der jüngsten Umfragen unter 50 Prozent ...

nein, immer über 50 Prozent. Vor allem ist die Zahl der Befürworter stets zwei- bis dreimal so groß wie die der Gegner. Wenn das Referendum kommt, werden wir eine klare Mehrheit haben. Allerdings hat Polens Regierung die nötige Information der Bürger vernachlässigt. Schade, denn jeder Monat zählt. Jeder Haushalt muss eine Broschüre mit den wichtigsten Vorteilen, Problemen und Lösungsansätzen erhalten. Und wichtig ist: Die Reformen machen wir doch nicht der EU zuliebe. Sie wären auch ohne EU-Beitritt unumgänglich.

Es gab Warnungen aus Brüssel, Polen müsse nicht zwingend in der ersten Erweiterungsrunde dabei sein, wenn es weiter schleppend verhandelt. Wäre das politisch gefährlich, wenn andere Länder früher beitreten?

Natürlich haben kleinere Länder geringere Probleme und können sie schneller lösen. Wir arbeiten hart an unserer Beitrittsfähigkeit. Auch kleinere Länder sind wichtig in der EU. Ihren politischen Kern aber bilden Deutschland und Frankreich.

Sie meinen, Polen, das so groß ist wie sieben andere Kandidaten zusammen, ist der Kern der Erweiterung?

Das ist vielleicht ein zu großes Wort. Aber Polen ist ein Schwergewicht.

Das heißt umgekehrt: Wer die Erweiterung verzögern will, setzt am besten bei Polen an?

Diese Gefahr sehe ich derzeit nicht. Wir wollen unseren Zeitplan einhalten. Und wir wollen den Partnern im Westen die Angst nehmen, es gehe zu schnell. Wenn die deutschen Bürger hören, Polen will 2003 rein, dann denken manche: Oh Gott, schon übermorgen. Aber das ist falsch. Wir arbeiten seit 1989 hart an unseren Reformen. 2003 werden 14 Jahre vergangen sein, weit mehr als in Spanien oder Portugal vom Ende der Diktatur bis zum Beitritt.

Was sagt das neue Nato-Mitglied Polen zu Russlands Wunsch, ebenfalls beizutreten?

In Moskau herrscht Wahlkampf. Vieles darf man nicht wörtlich verstehen, sondern als Signal. Das Signal ist positiv: Wir sind nicht mehr Feinde, arbeiten zusammen, verstehen uns als Partner. Eine Mitgliedschaft Russlands ist bei den heutigen Aufgaben der Allianz nicht möglich. Oder soll die Nato Wladiwostok und Kamtschatka verteidigen?

Bei der Entschädigung für NS-Zwangsarbeiter gibt es Streit um die Verteilung der zehn Milliarden Mark. Polen fordert neun Milliarden für Osteuropa, die Kläger aus den USA möchten aber rund zwei Milliarden für gesellschaftliche Zwecke und die Erforschung des Holocaust.

Die Entschädigung der Opfer, egal welcher Nationalität, muss Priorität haben vor anderen Zielen. In Polen haben wir eine zuverlässige Datei der Zwangsarbeiter aufgebaut.

Vor einem Jahr haben Sie eine großzügige Rückgabe im Weltkrieg verlagerter Kulturgüter angeregt. Berlin würde davon stark profitieren. Sie haben sich eine Geste vor dem Treffen in Gnesen gewünscht. Was ist daraus geworden?

Da bewegt sich viel, aber die Angelegenheit ist so delikat, dass ich nicht zu viel sagen möchte. Die Experten verhandeln. In der polnischen Haltung gibt es bedeutende Veränderungen. Das soll sich weiter entwickeln, damit wir im neuen europäischen Geist auf das Problem schauen: Entscheidend ist, dass die Kulturgüter allgemein zugänglich sind, ob in London, Berlin oder Krakau. Aber ich habe schon damals gesagt: Die Deutschen müssen den ersten Schritt tun. Der Krieg kam aus Berlin.Das Gespräch in Warschau führte Christoph von Marschall.

An diesem Sonntag erinnern Sie gemeinsam mit B, e

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