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Politik: Der Wind dreht

Der Demokrat Kerry ist Favorit im Nordosten – landesweit liegt er sogar vor Bush

Es ist bitterkalt im hohen Nordosten der USA – und doch tingeln in New Hampshire die Aspiranten der zweiten Runde der Vorwahlen zur Nominierung des demokratischen Präsidentschaftskandidaten rund um die Uhr durchs Land. Doch ihre Botschaften lassen sie, in größeren Städten zumindest, per Lautsprecher aus geheizten Autos verkünden. Nur selten sind an Straßenkreuzungen komplett vermummte Aktivisten zu sehen, die von einem Bein aufs andere hüpfen und das Namensschild ihres jeweiligen Lieblings in die Luft halten.

Nach seinem Sensationssieg in Iowa ist Senator John Kerry aus dem Nachbarstaat Massachusetts der klare Favorit. In fast allen Umfragen liegt er mindestens 15 Prozentpunkte vor dem Zweitplatzierten, dem in der Wählergunst jäh abgestürzten Arzt und Ex-Gouverneur von Vermont, Howard Dean. Der weiß, dass ihm nicht mehr viel Zeit bleibt, das Ruder herumzureißen. Noch nie ist einer, der in Iowa und New Hampshire gewann, am Ende nicht nominiert worden. Also wirft Dean alles, was er hat, ins Rennen – sich selbst, sein Spendengeld, seine Ehefrau, seine Mutter. Bislang hatte er die Familie aus seinem Wahlkampf herausgehalten.

Jetzt touren seine Mutter Andree Dean und seine Frau Judith Steinberg Dean zum Teil mit, zum Teil ohne den Kandidaten durchs Land, um dessen Wüterich-Image zu mildern. Auch er selbst gibt sich braver. Nur noch selten attackiert er seine Rivalen. Ganz im Zaum freilich hat er sich nicht. Frontrunner Kerry habe gegen den ersten und für den zweiten Golfkrieg gestimmt, lästert Dean, „über ein solches Urteilsvermögen im Weißen Haus wäre ich tief besorgt“. Er selbst sei für den ersten und gegen den zweiten Golfkrieg gewesen, „und ich glaube, meine Position hat sich als richtig erwiesen“.

Würde allein rhetorische Begabung über Sieg oder Niederlage eines Kandidaten entscheiden, lägen Dean – und mit einigem Abstand Senator John Edwards aus North Carolina – in Führung. Dean ist immer noch witzig, schnell, packend. Edwards ergreift mit einer Mischung aus Predigerattitüde und bestechender Anwaltslogik die Herzen seines Publikums. Kerry dagegen tritt eher ernst auf, mit einem Hang ins Langatmige. Aber nur er, glauben immer mehr Wähler, der hoch dekorierte Vietnam-Veteran und jahrzehntelange Senator, könne im November Präsident George W. Bush schlagen. Das oberste Kriterium ist nicht die Persönlichkeit eines Kandidaten, sondern seine Fähigkeit, auf nationaler Ebene die Wende zu bewirken. Die immerhin ist denkbar: Nach einer „Newsweek“-Umfrage würden derzeit 49 Prozent der Amerikaner für den demokratischen Präsidentschaftsbewerber Kerry stimmen, nur 46 Prozent für US-Präsident George W. Bush.

In New Hampshire liegt auch Wesley Clark relativ gut im Rennen. Der Ex-General und ehemalige Nato-Oberbefehlshaber dürfte auf Platz drei landen. Die Bewohner von New Hampshire sind in ihrem Wahlverhalten allerdings notorisch unberechenbar. Den größten Block der Wähler bilden mit 37,7 Prozent die Unabhängigen, gefolgt von Republikanern (36,7 Prozent) und Demokraten (25,6 Prozent). Die Unabhängigen dürfen bei den Vorwahlen der Parteien mitwählen. Das hat schon oft zu Überraschungen geführt.

Den Amtsinhaber wiederum scheint das Dauertrommelfeuer der Opposition langsam nervös zu machen. Am Donnerstag, nur zwei Tage nach den „primaries“, will Bush nach New Hampshire fahren. Dort will er, wie es heißt, die kollektive Kritik an seiner Regierung endlich einmal entkräften. Es dürfte nicht der letzte Versuch dieser Art werden.

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