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Politik: Des Kanzlers Wahrheit

Wann wurde der Bundespräsident über die Neuwahlpläne informiert? Auch die Grünen erwarten Antworten zur Vertrauensfrage. (Der Tagesspiegel, 31.05.2005)

Berlin - Schröder folgt dem Muster Kohl, und seine Koalitionäre, Grüne und Rote, ärgern sich. Grünen-Chefin Claudia Roth, und nach den Tagungen von Vorstand und Parteirat auch ihr Kollege Reinhard Bütikofer, erwarteten das Gegenteil von dem, was Regierungssprecher Bela Anda am Montagmittag verkündet: Aus "Respekt vor dem Parlament", lautete die diplomatische Formulierung, werde sich der Bundeskanzler erst am 1. Juli zur Art und Weise seiner Vertrauensfrage erklären. So verfuhr Helmut Kohl 1982; er erklärte sich erst kurz vor der Abstimmung dem Bundestag. In Berlin lag nach einem aufgeregten Wochenende eher eine rasche Klärung in der Luft: Nach dem Krach und dem Schwarzen-Peter-Spiel um die Unternehmenssteuern hatte Gerhard Schröder versichert, er werde nicht den Grünen die Verantwortung für das Scheitern der Koalition zuschieben.

Dazu passte eine zweite offene Frage: Der Bundespräsident nannte es in einem Gespräch mit der "WAZ" am Wochenende "bemerkenswert", dass er am Wahlabend in Nordrhein-Westfalen von der Ankündigung von Neuwahlen überrascht worden sei. Regierungssprecher Bela Anda, der am Wahlabend den Journalisten gesagt hatte, Schröder habe den Bundespräsidenten am "späten Nachmittag" informiert, erinnerte sich gestern aber nicht mehr an die genauen Zeiten.

Tatsächlich hat Köhler nicht anders als die Bundesbürger über den Bildschirm erfahren, dass er demnächst das Parlament auflösen solle. Schröder hat, wie Anda dem Tagesspiegel sagte, nachmittags versucht, Köhler zu sprechen. Dieses Gespräch sei nicht zustande gekommen; Schröder habe den Bundespräsidenten aber vor seiner öffentlichen Erklärung telefonisch informiert. Dabei habe man verabredet, am Montag zusammenzukommen. Nach Informationen des Tagesspiegels fand dieses Gespräch nach 19.30 Uhr statt, mehr als eine Stunde nach dem Auftritt von SPD-Chef Franz Müntefering in der Parteizentrale. Müntefering hatte dort als erster das Neuwahl-Vorhaben öffentlich angekündigt. Regierungssprecher Anda erklärte seine Formulierung "später Nachmittag" am Montag mit den Worten, das sei "ein dehnbarer Begriff". Wo stehe "festgeschrieben, was später Nachmittag und früher Abend ist".

Auf den Bundespräsidenten freilich kommt es an, denn er muss über die Auflösung des Bundestags entscheiden, die Voraussetzung für Neuwahlen ist. Die Vertrauensfrage nach Artikel 68 des Grundgesetzes ist der einzige Weg dahin. Nach Kohls Vertrauensfrage von 1982 gab es ein juristisches Nachspiel in Karlsruhe. Seither gilt eine absichtsvoll zum Scheitern geführte Vertrauensfrage als bedenklich. Die Klage wurde allerdings abgewiesen, Kohls Verfahren also gebilligt.

Schröders Interessen an rechtlicher und politischer Klarheit sind schwer in Deckung zu bringen. Eine mit einer Sachfrage verknüpfte Vertrauensfrage, etwa zum Reformkurs, wäre schädlich, weil die Opposition Wahlkampf damit machen könnte, dass Schröder an den eigenen Leuten gescheitert sei. Nachvollziehbarer wäre eine allgemein gestellte Vertrauensfrage, weil es Schröder erklärtermaßen um Neuwahlen geht. Sie könnte juristisch aber den Schluss nahelegen, dass die Vertrauensfrage fingiert ist. SPD-Linke und Grüne haben in der vergangenen Woche bereits Treuebekenntnisse abgelegt, die Horst Köhler daran zweifeln lassen könnten, dass es ihnen wirklich an Vertrauen zum Kanzler fehlt. Von Tissy Bruns (tso)

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