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Politik: Des Königs gelehrter Narr

Er war ein spektakulärer Fall. Jacob Paul von Gundling verdankt seine Bekanntheit der erbarmungswürdigen Narren-Rolle, die er, der doch ein Gelehrter war, im Tabakskollegium von Friedrich Wilhelm I.

Er war ein spektakulärer Fall. Jacob Paul von Gundling verdankt seine Bekanntheit der erbarmungswürdigen Narren-Rolle, die er, der doch ein Gelehrter war, im Tabakskollegium von Friedrich Wilhelm I. spielen musste, schließlich auch seinem Begräbnis in einem Weinfass, das ihm der König, der fama nach, auferlegt hat. Ein Exempel - aber wofür steht es? Für die Tragik im Verhältnis von Geist und Macht? Die elende Rolle des Intellektuellen im Machtstaat? Gar die Misere des Wissenden in einer Welt, die beherrscht ist von Menschenverachtung und Gewalt? So haben viele dieses merkwürdige Schicksal begriffen - zuletzt Heiner Müller mit seinem Theaterstück "Leben Gundlings". Nun hat sich der Historiker Martin Sabrow dieser Gestalt angenommen - und eine überzeugend kluge Sicht auf diese seltsame Gestalt geliefert. Sabrow befördert Gundling von der Parabel zurück in die Epoche, der er zugehörte - die Welt des absolutistischen Fürstenstaats mit seiner hierarchischen Machtstruktur und drastischen Umgangsformen der Hofgesellschaft, aber auch mit der Mühsal des bürgerlichen Lebens und der redseligen Wissenschaft.

In welchem Maße Gundling ein ernst zu nehmender Gelehrter war, wird einem erst in diesem Buche klar. Er war ein angesehener Geschichtsschreiber, Gutachter in Wirtschaftsfragen und Autor gelehrter Abhandlungen - schließlich wurde er Präsident der Akademie der Wissenschaften. Es ist diese Doppelexistenz von Gelehrtem und Narr, die Gundling zum Fall macht; Sabrow nennt sie mit Recht grotesk.

Für ihre Deutung taugt allerdings das Parabelstück vom leidigen Verhältnis von Geist und Macht nur ganz bedingt. Zu sehr ist sie aus der Sicht der aufgeklärten Moderne gewonnen, die zu Gundlings Lebzeiten noch nicht einmal am Horizont aufgetaucht war. Indem Sabrow mit seiner Biografie Gundling wieder der Geschichte zurückgibt, macht er sie in einer kühnen Volte zu einer anderen Parabel: für die Brüche und Widersprüche dieser Epoche. In ihr bildeten "Narrentum und Gelehrsamkeit nicht sich ausschließende Gegensätze, sondern zwei aufeinander bezogene und ineinander verwobene Daseinsformen eines höfischen Gelehrtenlebens". Das Schicksal Jacob Paul Gundlings spiegelt insofern den Kampf eines Gelehrten um seine Chancen in einer Gesellschaft wider, in der uns weitgehend unverständlich gewordene, ganz unterschiedliche Lebensformen sich überlagern. Und es ist die so freigelegte Fremdheit, die ihn uns näher bringt als die alte Saga von Geist und Macht.

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