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Vom Fach. Gabriel, Ischinger und von Marschall (v. l.). Foto: Wolfgang Kumm/dpa

© dpa

Deutsche Außenpolitik: Mach mal hinne, Deutschland

Mehrere Bücher beklagen die außenpolitische Verzagtheit Deutschlands. Sigmar Gabriel, Wolfgang Ischinger und Christoph von Marschall diskutieren ihre Thesen.

Von Anna Sauerbrey

In diesem Herbst erscheinen eine ganze Reihe von Büchern, die sich kritisch mit der deutschen Rolle in der internationalen Politik auseinandersetzen. Gemeinsam ist ihnen die Forderung, das reiche Land mitten in Europa möge seine historisch begründete Zurückhaltung ablegen und sich stärker außen- und sicherheitspolitisch engagieren. Neu ist diese Debatte nicht. Spätestens seit der damalige Bundespräsident Joachim Gauck auf der Münchner Sicherheitskonferenz 2014 diese Forderung erhob, wird sie in einer größeren Öffentlichkeit geführt. Da sich aber trotz Donald Trump nicht viel geändert hat, bleibt das Thema. Dass es außerdem bei weitgehender Einigkeit über den Befund noch viel Raum für lebhafte Debatten gibt, zeigte sich am Dienstag.

Sigmar Gabriel, Wolfgang Ischinger und Christoph von Marschall sind sich einig: Deutschland fehlt das geopolitische Denken

Drei Buchautoren trafen sich in den Räumen der Bundespressekonferenz zum Gespräch. Anlass war die Vorstellung des Buches des Diplomatischen Korrespondenten der Chefredaktion des Tagesspiegels, Christoph von Marschall („Wir verstehen die Welt nicht mehr. Deutschlands Entfremdung von seinen Freunden“).

Mit ihm auf dem Podium, das von Tagesspiegel-Chefredakteur Stephan-Andreas Casdorff moderiert wurde, saßen der ehemalige Außenminister Sigmar Gabriel und der langjährige Diplomat und Chef der Münchner Sicherheitskonferenz Wolfgang Ischinger. Gabriels Buch („Zeitenwende in der Weltpolitik – Mehr Verantwortung in ungewissen Zeiten“) erscheint am 19. September, Ischingers „Welt in Gefahr. Deutschland und Europa in ungewissen Zeiten“ am 7. September.

Am lebhaftesten verlief die Debatte zwischen Christoph von Marschall und Sigmar Gabriel. Uneinig waren sich die beiden in der Frage, wie stark die Sorge vor einer militärischen Vormachtstellung Deutschlands in den Nachbarstaaten noch ausgeprägt sei. Christoph von Marschall, der mit seinem Buch explizit die Perspektive der deutschen Partner einnehmen will und Interviews mit hochrangigen Vertretern Polens, Frankreichs, der USA, der Europäischen Kommission und der Nato geführt hat, hält den Verweis auf die Angst der Nachbarn für einen deutschen Vorwand. Die Botschaft vieler seiner Gesprächspartner sei vielmehr gewesen: „Geht doch einfach mal normaler mit eurer Macht um, 70 Jahre nach dem Krieg kann es keine deutsche Sonderrolle mehr geben“, so von Marschall. Sigmar Gabriel hingegen sagte, diese Darstellung sei „einseitig“, er höre sehr wohl auch andere Stimmen. Er stimmte aber zu, dass Deutschland sich aus vermeintlich ethischen Gründen zu weit zurückziehe. „Wir sind kurz davor, an unserem moralischen Rigorismus zu ersticken“, so Gabriel. Deutschland müsse stärker geopolitisch denken.

Sigmar Gabriel: „Wir sind kurz davor, an unserem moralischen Rigorismus zu ersticken.“

Auch die politischen Vorschläge der drei Autoren unterscheiden sich, wenn auch eher im Detail. Einig sind sich alle drei Autoren darin, dass Deutschland innerhalb von Europa Kompromisse werde akzeptieren müssen, selbst wenn sie den eigenen Interessen zuwiderliefen. Die Klage, Deutschland würde seine Wirtschaftsinteressen immer wieder vor gemeinsame geopolitische Interessen Europas stellen, zum Beispiel in Bezug auf China, habe er während seiner Recherchen immer wieder gehört, so von Marschall. Und auch Wolfgang Ischinger betonte: „Wir müssen uns durchringen zu einem Prozess, an dessen Ende qualifizierte Mehrheitsentscheidungen stehen.“ Das heißt: Eine Mehrheit der europäischen Staats- und Regierungschef entscheidet, alle müssen folgen.

Die Vorstellungen, wie Deutschland sein Versprechen umsetzen solle, mehr für Sicherheit und Verteidigung zu tun, gingen auseinander. Gabriel hat dazu erst kürzlich mit dem ehemaligen polnischen Botschafter in Deutschland, Janusz Reiter, einen Vorschlag gemacht. Statt wie in der Nato vereinbart mittelfristig zwei Prozent des Bruttoinlandsproduktes für die Verteidigung auszugeben, solle Deutschland aus historischer Rücksichtnahme 1,5 Prozent in die Bundeswehr und 0,5 Prozent in die europäische Verteidigung investieren. Er wiederholte diesen Vorschlag. Wolfgang Ischinger warb für sein Drei-Prozent-Modell – drei Prozent des BIP für Entwicklungshilfe, Krisenprävention, Diplomatie und Verteidigung.

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