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 Barbara Hendricks (SPD) hatte politische Erfahrung in Nordrhein-Westfalen gesammelt, bevor sie 1998 als Staatssekretärin zu Oskar Lafontaine ins Finanzministerium wechselte. Sie blieb, als Hans Eichel und Peer Steinbrück (alle SPD) übernahmen. Nach dem Ende von Rot-Grün ging Hendricks als SPD-Schatzmeisterin ins Willy- Brandt-Haus in Berlin. Seit 2013 ist Hendricks Umweltministerin. Zuletzt konnte man den Eindruck haben, dass sie auch das Landwirtschafts- und Verkehrsressort ihrer CSU-Kollegen im Kabinett übernommen hätte.

© Thilo Rückeis

Deutsche Autoindustrie: „Der Diesel-Gipfel kann nur ein erster Schritt sein“

Umweltministerin Barbara Hendricks wirbt im Interview für eine grundsätzliche Verkehrswende hin zu emissionsfreier Mobilität – und warnt vor Konkurrenz aus China.

Im Vergleich zum Braunkohleausstieg ist der Umbau der Mobilitätsbranche eine noch anspruchsvollere Aufgabe. Warum fangen Sie und Verkehrsminister Alexander Dobrindt kommende Woche mit einem Diesel-Gipfel an?

Da muss man etwas trennen. Ich weise seit Beginn meiner Amtszeit als Umweltministerin darauf hin, dass wir endlich damit beginnen müssen, die Verkehrswende zu organisieren. Und darauf, dass Deutschland sich dabei besonders beeilen muss, um auch in Zukunft führend in der Automobilindustrie zu bleiben. Ich will mich nicht herausreden: Aber fragen Sie das doch bitte mal den Verkehrsminister. Was den Diesel angeht, so reden wir über ein Spezialproblem.

Wir wissen seit etwa zwei Jahren, dass VW und andere Autohersteller manipulierte Software eingesetzt haben, die die Abgasreinigung von Dieselfahrzeugen weitgehend außer Kraft setzt. Dem müssen wir konsequent begegnen. Der Diesel-Gipfel kann dabei natürlich nur der erste Schritt sein zu einem zwingend notwendigen Umbau der Automobilindustrie hin zu Unternehmen, die künftig auf hohem Niveau verlässliche Mobilität anbieten, und das am besten emissionsfrei.

Großbritannien und Frankreich wollen diesen Umbau mithilfe eines Zulassungsverbots für Fahrzeuge mit Verbrennungsmotoren von 2040 an unterstützen, Indien peilt 2030 und Norwegen 2025 an. Was halten Sie davon?

Wir müssen die Signale aus diesen und anderen Ländern sehr ernst nehmen. Das sind ja nicht zuletzt wichtige Absatzmärkte. Deshalb müssen wir jetzt die ersten Weichen für einen emissionsfreien Verkehr stellen. Eine Diskussion über eine staatlich vorgegebene Jahreszahl bringt uns dabei aber nicht wirklich weiter. Es ist ja nicht neu, dass ich sage: Es wird ein Druck aus den Märkten entstehen. Vor allem aus China. Das fordert gerade die Premiummodelle der deutschen Autoindustrie in besonderer Weise heraus. Denn diese sind sehr stark auf dem chinesischen Markt vertreten – und wollen das ganz gewiss auch bleiben.

VW hat ja angekündigt, dass sie im Jahr 2020 in China rund 400.000 E-Autos auf den Markt bringen werden. Die sollen dort auch produziert werden mit einem Joint Venture. Wenn VW es in China gelingt, bis 2020 diese Menge an elektrisch angeriebenen Fahrzeugen auf die Straße zu bringen, dann müsste das doch wohl bei uns auch zu schaffen sein.

Was halten Sie von Quoten für E-Autos, wie China sie eingeführt hat?
Ganz klar und vorrangig ist, dass wir insbesondere eine deutlich stärkere Förderung von E-Mobilität brauchen. Dafür brauchen wir natürlich auch entsprechend attraktive Fahrzeugtypen. Zwar wäre eine Elektroquote eine Möglichkeit. Aber ob es eine nationale Quote mit Jahreszahl sein muss, ist beim deutschen Weg der Dekarbonisierung bis 2050 tatsächlich fraglich. Hinzu kommt, dass die Europäische Kommission sich derzeit ja auch mit einer Art Quote für E-Autos befasst. Der EU-Klimakommissar Miguel Arias Canete wird dazu demnächst einen Vorschlag machen.

So oder so – die nächste Bundesregierung wird die Frage der Förderung und Stärkung der Elektromobilität und der dafür benötigten Infrastruktur ohnehin auf ihre Agenda setzen müssen. Außerdem liegt es in der Hand der Hersteller, E-Modelle anzubieten, die technisch und preislich attraktiv für die Menschen sind. Das zusammen mit einer guten Ladeinfrastruktur würde vorgeschriebene Quoten überflüssig machen, davon bin ich überzeugt.

Es kommen ja auch noch neue Spieler auf den Markt. Gerade am Donnerstag haben in München drei Studenten den solarelektrischen Sion vorgestellt. Dafür haben sie im Crowdfunding gerade mal 600 . Euro eingesammelt – und lassen das Auto bis 2019 bauen. Oder der e.Go in Aachen. Die Fabrik, die dafür gebaut wird, kostet gerade mal 24 Millionen Euro, und im kommenden Jahr kommt der E-City-Flitzer für unter 16 000 Euro auf den Markt. Das zeigt, mit wie wenig Kapital in dieser neuen Technologie Konkurrenz heranwachsen kann. Ist die Autoindustrie darauf vorbereitet?
Zumindest der Streetscooter der Deutschen Post/DHL hat die deutschen Autohersteller ja schon mal überholt. Die Post hatte ja bei den deutschen Herstellern nachgefragt, ob sie ein solches Fahrzeug im Angebot hätten oder bauen würden und wenn ja, wann. Darauf haben sie keine vernünftige Antwort bekommen. Deswegen haben sie es selbst gebaut. Der innerstädtische Verkehr nimmt ja beständig zu, weil sich die Leute zum Beispiel immer mehr Waren direkt ins Haus liefern lassen. Der Warenverkehr wird vermutlich auf Dauer so organisiert sein, dass am Rand der großen Städte in den Verteilzentren einfach umgepackt wird. Und dann braucht man so etwas wie den E-Scooter für den innerstädtischen Lieferverkehr.

Es ist offensichtlich, dass die deutsche Autoindustrie das einfach nicht ernst genommen hat. In anderen Bereichen wie der Digitalisierung und der Batterietechnologie holt die Branche jedoch auf und ist ja teilweise auch führend. Ich glaube nach wie vor an die weltweit einmalige Innovationsfähigkeit der deutschen Wirtschaft. Die haben noch alle Chancen, ganz vorne mit dabei zu sein. Aber dafür müssen die jetzt auch mal endlich in die Pötte kommen, wie man so schön sagt.

Der Verband der Deutschen Autoindustrie (VDA) redet seit Monaten von „Technologieoffenheit“ und meint damit offenbar Strom zu Flüssigtreibstoff (Power-to-liquid). Bei dem Verfahren wird aus Kohlendioxid und Wasser ein Treibstoff hergestellt, der Benzin und Diesel sehr ähnlich ist. Dann könnte ja auch alles beim Alten bleiben, wenn dieser Treibstoff mit erneuerbarem Strom hergestellt würde. Aber es bräuchte viel mehr Strom. Was halten Sie von dem Konzept?
Ich persönlich und auch mein Ministerium halten Power-to-liquid zwar für notwendig, aber nicht für den Pkw-Antrieb. Wir werden diese CO2-neutralen Flüssigtreibstoffe für den Flugverkehr, für den Schiffsverkehr, für einen Teil des Schwerlastverkehrs brauchen. Aber wir werden ganz sicher nicht genügend Kapazitäten zur nachhaltigen Stromgewinnung haben, um Power-to-liquid beim Individualverkehr zum Einsatz zu bringen. Da können wir den erneuerbaren Strom auch direkt nutzen.

Das ist auch viel sinnvoller, denn auch mit erneuerbaren Energien müssen wir schließlich sparsam umgehen. Wo sollten die ganzen Anlagen zur Erzeugung erneuerbaren Stroms denn alle stehen? Auch das hat ja ökologische Folgen und das ist ein guter Grund, sparsam mit der Energie umzugehen.

Im Stadtverkehr ist es vielleicht am sichtbarsten, dass eine Mobilitätswende mit 45 Millionen Pkw kaum möglich ist, oder?
Naja. Stimmt, zur Zeit haben wir 45 Millionen Pkw, von denen aber die meisten 23 Stunden am Tag stillstehen. Ich bin sehr sicher, dass wir in Zukunft in den Städten über die Digitalisierungsfortschritte eine Vernetzung verschiedener Verkehrsträger bekommen werden. Damit können wir übrigens auch Raum und Flächen zurückgewinnen, weil der Platz nicht mehr für Parkplätze benötigt wird. Diese Flächen sind dann für Stadtgrün oder neues Bauland nutzbar. Um die Vernetzung hinzubekommen, brauchen wir ganz sicher in absehbarer Zeit gerade in Städten mehr und andere Mobilitätsangebote für die Menschen. Formen von Car-Sharing und der Verzicht auf ein eigenes Autos funktionieren in den Städten bereits sehr gut. Der private Besitz von Pkws, auch elektrisch und autonom fahrend, wird allerdings auf dem Land sicherlich noch länger nötig sein.

Um Autos effizienter zu nutzen, braucht es auch einen leistungsfähigen Nahverkehr. Und der ist überall schon am Anschlag. Die Züge, Busse oder Straßenbahnen sind schon jetzt zu den Stoßzeiten übervoll.
Das ist richtig und eine Herausforderung, der sich vor allem die Länder stellen müssen. Der Bund finanziert ja mit dem Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz große Anteile des öffentlichen Personennahverkehrs. Die Länder sind aber dafür zuständig, das dann auch auf die Straßen, Wege und Schienen zu bringen. Ein besserer ÖPNV kann auch eine Antwort sein, wie der Umzugsdrang der Menschen vom Land in die Städte verlangsamt oder gestoppt werden kann. Denn ein zuverlässiger Nahverkehr, der ohne Stau zum Arbeitsplatz fährt, wäre sicher ein wichtiges Argument für das Wohnen im ländlichen Raum oder einer Kleinstadt in überschaubarer Nähe zum Arbeitsplatz.

Dazu gehört aber auch zum Beispiel die Breitbandanbindung für das Internet oder die Sicherstellung der ärztlichen Versorgung auf dem Land. Darauf hat die Gesundheitspolitik bisher auch noch keine Antwort gegeben. Anders gesagt: Ein funktionierender ÖPNV allein wird wohl kaum ausreichen, um die Menschen in den ländlichen Räumen halten zu können, wenn nicht in vertretbarer Entfernung ein Kinderarzt oder ein Supermarkt ist.

Noch mal zurück zum Diesel-Gipfel. Die Autoindustrie will offenbar einen Fonds vorschlagen, in den sie 250 Millionen Euro einzahlt und der Bund noch mal die gleiche Summe. Daraus sollen die notwendigen Nachrüstungen der Dieselfahrzeuge finanziert werden, deren Abgaswerte zu hoch sind. Was halten Sie davon?
Der Fonds ist ja erst einmal nur ein Vorschlag. Er ist nicht dafür vorgesehen, Nachrüstungen der Pkw zu bezahlen. Die Autoindustrie ist alleine dafür verantwortlich, dass ihre Produkte den gesetzlichen Vorgaben entsprechen. Aus dem Fonds sollen lediglich flankierende Maßnahmen zur Luftreinhaltung finanziert werden. Wir fangen jetzt mit dem ersten Schritt an, mit den Software-Nachsteuerungen. Sie tragen dazu bei, die Luftqualität in den Städten zu verbessern. Fahrverbote sind damit aber noch nicht ausgeschlossen. Diese kann es in besonders belasteten Gebieten dennoch geben. Das entscheidet letztendlich auch nicht immer die Politik, sondern das tun mittlerweile ja auch Gerichte.

Trotzdem sollte man die Wirkung der Software-Updates nicht gänzlich kleinreden. Wir werden von der Autoindustrie in absehbarer Zeit klare Information darüber bekommen müssen, wie und auf welche Weise die verschiedenen Autotypen tatsächlich nachgebessert werden können, welche Kosten dafür entstehen und welche Entlastung es bezüglich der Luftqualität bringt. Darauf brauchen wir klare und technisch plausible Antworten. Das wird kommende Woche sicherlich noch nicht in Gänze geschehen.

Sie fordern zudem, dass der Staat seiner Kontrollfunktion wieder stärker nachkommen soll und wieder eigene Messungen machen sollte. Warum?
Ich halte es in der Tat für unabdingbar, dass der Staat verstärkt eigene Messungen macht. Wir werden das im Hinblick auf die Vorgaben zu den Real Driving Emissions – also die Abgaswerte im realen Verkehr –, die in Europa ab September gelten, sowieso brauchen. Ich glaube auch, dass es nötig ist, dass wir als Regierung unsere Kontrollfunktion wieder stärker wahrnehmen müssen.

Wir sollten mit unseren Möglichkeiten mithelfen, den Vertrauensverlust über die Unabhängigkeit der staatlichen Institutionen wiederherzustellen. Das geht aber nur, wenn wir das mit transparenten und wirksamen Maßnahmen machen. Und das heißt, es können nach Lage der Dinge nur Kontrollen sein, die so durchgeführt werden, dass Abweichungen auch auffallen.

Und zwar nicht vom offenkundig sehr überforderten, oder unwilligen, Kraftfahrtbundesamt (KBA).
Nicht nur. Ich stelle mir vor, dass wir eine geteilte Zuständigkeit bekommen. Abschließend will ich das noch nicht sagen. Aber es liegt nahe, dass das Kraftfahrtbundesamt für die Typengenehmigung zuständig bleibt, mit allem, was dazugehört. Da geht es ja nicht nur um den Antrieb. Zudem sollte eine andere Institution des Bundes, zum Beispiel das Umweltbundesamt, die Messungen der Luftverschmutzung auf der Straße und ihre Wirkungen auf Mensch und Umwelt übernehmen. Wie genau das organisiert wird, muss die neue Bundesregierung dann im Detail entscheiden.

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