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Unter Umständen ein teures Vergnügen: Fahrt mit dem ICE.

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Deutsche Bahn: Finanziert die zweite Klasse die teure erste Klasse mit?

In der Bahn fahren wenige Menschen in der ersten und viele in der zweiten Klasse. Es drängt sich der Verdacht auf, dass diese ungleiche Auslastung gewollt ist. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Jost Müller-Neuhof

Dass Ungleichheit nicht immer gleich Ungerechtigkeit bedeuten muss, zeigt sich unter anderem bei einer Reise mit der Deutschen Bahn. Alle sitzen im selben Zug, aber die einen freuen sich über weniger und im Regelfall recht ruhige Mitreisende, viel Beinfreiheit und kostenlose Zeitungen. Die anderen sitzen enger und teilen sich die meist volleren Wagen mit Trinkgemeinschaften, Familien oder Kleintieren.

Die erste und die zweite Klasse bilden eine ständische Konstante im Übergang der höfischen Gesellschaft zur egalitären Demokratie. Zugleich dient die erste Klasse als Testlauf für neue Komfortstufen, die irgendwann später auch den billigen Plätzen zugutekommen. Erst waren es Polster und Licht, dann Heizung und Klimaanlage. Im Reich der DB soll es bald sogar für das W-Lan gelten. Man kann ahnen, wie es weitergeht: Demnächst gibt es dann Kinofilme für die Gesellschaft der gehobenen Kategorie und abgenudelte Serien für die weiter unten.

Ungerecht, so halten es zumindest die Bahn und ihre zahlungskräftigeren Kunden, ist das Ganze nicht, weil das Angebot ja auch mehr kostet. Das stimmt, widerlegt aber nicht den Vorwurf. Derzeit sind es rund 16 Prozent der Sitze im Fernverkehr, die der ersten Klasse vorbehalten sind. Sagt die Bahn. Auch für den Eindruck, dass das Teurere leerer ist, gibt es statistische Belege. Die erste Klasse ist derzeit nur zu 39 Prozent ausgelastet, die zweite Klasse zu 56 Prozent.

Die Bahn beruft sich aufs Geschäftsgeheimnis

Damit drängt sich die Frage auf, ob sich das Angebot überhaupt lohnt, auch wenn die Bahn beteuert, in den vergangenen Jahren sei die Auslastung beider Klassen „deutlich gesteigert“ worden. Es drängt sich auch auf, dass die Auslastung der ersten Klasse schon immer und gewollt weit geringer war als die der zweiten, denn mit diesem Argument verkauft sie sich besser. Ist es am Ende so, dass die Passagiere mit den günstigen Tickets die Kosten für die mit den teuren querfinanzieren?

Eine Antwort darauf hält die Bahn für ihr Geschäftsgeheimnis, aus „Wettbewerbsgründen“, heißt es, wobei es dem Unternehmen nicht gelingen will, zu erklären, welchen Wettbewerb sie im Fernverkehr überhaupt meint. Den mit den Bussen? Widersprüchlich erscheint auch, dass die Bahn aktuelle Zahlen zur Auslastung gerne präsentiert, mit den älteren aber hinter dem Berg hält. Wie könnten alte Daten für den aktuellen und künftigen Wettbewerb Nachteile bringen?

Möglich, dass die Bahn schlicht nicht möchte, dass ihr die Klassengesellschaft nachgerechnet wird. Denn das könnte deren Ende bedeuten. In dem Fall, dass die erste Klasse von der zweiten subventioniert wird, sollte man dort künftig auch mit einem billigen Ticket Platz nehmen dürfen. Die Bahn ist ein staatseigener Konzern. Ihr Schweigen deckt nicht nur eine mögliche Ungerechtigkeit. Ihr Schweigen könnte Unrecht sein.

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