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Schlange stehen vor der deutschen Botschaft in Beirut.

© Mohamed Azakir/Reuters

Update

Deutsche Dependance im Libanon: „Ich habe noch keine schlimmere Botschaft erlebt“

Seit vielen Jahren beschweren sich Betroffene über die Vertretung in Beirut. Geändert hat sich trotz vieler Klagen nichts.

Die Suchmaschine Google zeichnet sich unter anderem dadurch aus, dass man mittlerweile alles bewerten kann. Ob Bushaltestellen, Gefängnisse oder eben Botschaften. Letzteres führt dazu, dass die deutsche Auslandsvertretung im Libanon lediglich zweieinhalb von fünf Sternen von den Usern erhält.

Ein Großteil der knapp 120 Rezensionen sind in ihrem Urteil vernichtend: „11 Monate sind bis jetzt vergangen und immer noch keine Antwort von der deutschen Botschaft“, beklagt sich ein Nutzer vor einem Jahr. Und auch die aktuelleren Bewertungen ähneln sich in ihrer Kritik: Dutzende bemängeln die angeblichen monatelangen Wartezeiten und fehlenden Reaktionen auf Mails und Anrufe der Antragsteller. Ein Nutzer schreibt „Sie behandeln uns wie Sklaven, richtig asozial“, ein anderer: „Ich habe noch keine schlimmere Botschaft erlebt als diese.“

Schon in der Vergangenheit erhielt die bei Beirut gelegene Auslandsvertretung der Bundesrepublik unrühmliche Schlagzeilen. Über mehrere Monate soll ein Mitarbeiter elf syrischen Staatsbürgern Termine für eine Familienzusammenführung gegen Geld verkauft haben. Seit dem Ausbruch des syrischen Bürgerkriegs im Nachbarland übernehmen die deutschen Diplomaten im Libanon die Aufgaben des geschlossenen Botschaftsgebäudes in Damaskus.

Ein ähnlicher Fall wurde 2019 öffentlich: ein Angestellter, der besonders sensiblen „Visumsstelle“ der Botschaft soll in dutzenden Fällen, die für die Einreise nach Deutschland benötigten Visumetiketten, an einen libanesischen Clan verkauft haben.

Dieser habe die Dokumente genutzt, um syrische Geflüchtete gegen hohe Geldbeträge nach Deutschland zu schleusen. Illegaler Terminhandel und Korruptionsverdacht in der Vergangenheit, hunderte Beschwerden über die Arbeitsweise der Botschaft in der Gegenwart.

Seit einem Jahr versucht er, seine Frau hierher zu holen

Souheil El Nemer ist ein bedächtiger Mensch. Nur wenig kann ihn aus der Ruhe bringen, sagt er. Die deutsche Botschaft in seiner libanesischen Heimat hat es geschafft.

El Nemer kam vor 16 Jahren als Student aus dem Libanon in die Bundesrepublik. Nach seinem Abschluss fand er schnell Arbeit, heute ist er als Ingenieur für einen Automobilhersteller in Wolfsburg tätig.

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El Nemer verdient gut. Deutschland ist längst seine Heimat geworden. Nur eines fehlt: seine Frau. Vor zwei Jahren haben Souheil El Nemer und Liliane Almasri geheiratet, seit Ende 2019 versucht der Ingenieur die 33-jährige Libanesin zu sich in die Bundesrepublik zu holen.

Den für die Zusammenführung nötigen Termin an der deutschen Botschaft in Beirut hält das Paar für eine reine Formalie. Sie täuschen sich. Die Botschaftsangestellten teilen El Nemer im Dezember 2019 mit, dass Visa-Termine nur online buchbar sind. Also setzt sich der 37-jährige täglich an seinen Computer, um einen freien Termin zu buchen.

Auch die Notfallhotline des Auswärtigen Amtes reagiert nicht

Ein halbes Jahr lang. Zwischendurch versucht der Libanese immer wieder die Botschaft zu kontaktieren, nachzufragen warum es so lange dauert überhaupt einen Termin buchen zu können. Er erhält keine Antwort. Auch nicht bei der Notfallhotline des Auswärtigen Amtes im Libanon reagiert jemand, sagt El Nemer.

Bis zum 23. Juli 2020 muss er warten, als das Termin-Portal der Auslandsvertretung endlich wieder freigeschaltet wird. Der nächste freie Termin für seine Frau ist im Oktober. Als El Nemer bucht, erhält er keine Eingangsbestätigung, keinen Rückruf.

Dem Tagesspiegel liegen ähnliche Berichte weiterer Personen vor.

In einem besonders eindrücklichen Fall schildert eine Betroffene wie sie seit mehr als einem halben Jahr versucht, ihren Mann zurück nach Deutschland zu holen. Samir Abu Steiti lebt seit 13 Jahren mit Frau und Kindern Im Münsterland und war im März für einen kurzen Familien-Besuch in den Libanon geflogen, als der Zedernstaat pandemie-bedingt kurzfristig den einzigen Flughafen des Landes schließt.

Die Botschaft weiß nichts von einem Dokument

Seine deutschen Aufenthaltsdokumente laufen ab, das zuständige Ausländeramt stellt ihm eine vorläufige Fiktionsbescheinigung aus und schickt die wichtigen Unterlagen per Kurier nach Beirut.

Das Auswärtige Amt in Berlin soll dem Paar bestätigt haben, dass das Dokument in der Vertretung in Beirut angekommen sein soll. Die Botschaft behauptet jedoch das Gegenteil: das Ausweisdokument sei niemals bei ihnen eingegangen. Stattdessen soll der Betroffene einen Antrag auf Familienzusammenführung stellen, um wieder zurück nach Deutschland reisen zu können. Abu Steiti und seine Frau versuchen einen Termin bei der Botschaft zu bekommen. Am Vormittag des 4. Augusts ist es soweit.

Am gleichen Tag verwüstet eine verheerende Explosion große Teile Beiruts, hunderte Menschen sterben oder werden verletzt. Auch die deutsche Botschaft wird von der Detonation schwer getroffen. Eine Mitarbeiterin des Auswärtigen Amtes kommt ums Leben.

Seit dem 1. September ist die Auslandsvertretung wieder regulär geöffnet, doch Abu Steiti hat seitdem keine Rückmeldung zu seinem Antrag bekommen. Die von der Botschaft kommunizierte durchschnittliche Bearbeitungszeit der Visa-Anträge von sechs Wochen ist längst überschritten.

Der Arbeitgeber verliert die Geduld, Kündigung droht

Regelmäßig kontaktiert Abu Steitis Frau Allaa Samir das Auswärtige Amt. Immer wieder erhält sie die gleiche standardisierte Antwort: „Bitte haben Sie Geduld, bis sich die Botschaft bei Ihnen meldet.“

Also wartet Allaa Samir mit ihren Kindern weiter im Münsterland auf die Rückkehr ihres Mannes. Dessen Arbeitgeber in Deutschland habe langsam keine Geduld mehr – Abu Steitis Kündigung droht, sagt Samir.

Auch Souheil El Nemer versucht sich zu wehren. Er schreibt Nichtregierungsorganisationen an, wendet sich an Bundestagsabgeordnete mit der Bitte Druck auf das Auswärtige Amt auszuüben. Als all dies nicht erfolgreich ist, nimmt er sich einen Anwalt.

Am Berliner Verwaltungsgericht legen sie Klage gegen das Auswärtige Amt ein. Es ist Mitte Oktober, als Liliane Almasri, El Nemers Frau, endlich zu ihrem gebuchten Termin in der Auslandsvertretung erscheint. Ein Mitarbeiter der Botschaft übt Druck auf sie aus, wird El Nemer später dem Tagesspiegel erzählen. Wenn seine Frau die Klage vor dem Verwaltungsgericht nicht zurückziehen sollte, würde ihr Antrag nicht bearbeitet werden, heißt es.

Keine Rückmeldung - keine Perspektive

Zu überprüfen ist das nicht, das Auswärtige Amt spricht gegenüber dem Ingenieur von einem „Missverständnis“. Seitdem ist nichts geschehen. Keine Rückmeldung der Botschaft, keine Perspektive für El Nemer und seine Frau.

Auf Anfrage des Tagesspiegels teilte das Auswärtige Amt mit, dass aufgrund der Pandemie-bedingten Einschränkungen des öffentlichen Lebens in vielen Ländern einige Visastellen des Auswärtigen Amtes nur erheblich eingeschränkt oder im Notbetrieb arbeiten können.

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Dies betreffe auch die Visabearbeitung der Botschaft in Beirut, so ein Sprecher. Gleichzeitig hätte die Explosion im Beiruter Hafen zu einer Einschränkung der Liegenschaften der Botschaft geführt. Durch die Lockerung der Einreisebestimmung seitens der libanesischen Regierung im September, sei man gewillt die in den vergangenen Monaten aufgestauten Antragswünsche abzubauen.

Schon länger herrschen dort chaotische Zustände

Zu einer durchschnittlichen Bearbeitungs-Wartezeit will sich das Auswärtige Amt unterdessen nicht äußern. Ebenso wenig wird auf den Vorwurf reagiert, dass sich Betroffene schon vor dem Ausbruch des Coronavirus im Libanon über chaotische Zustände in der deutschen Auslandsvertretung beschwerten.

Souheil El Nemer dürfte das nicht zufriedenstellen. Er sagte dem Tagesspiegel vor wenigen Tagen am Telefon, dass ihm bald nichts mehr übrig bleibt, als seiner Heimat Deutschland den Rücken zu kehren: „Wenn meine Frau bis Ende Januar nicht bei mir ist, werde ich meinen Job und meine Wohnung kündigen, Liliana aus Beirut holen und in ein neues Land ziehen, in dem wir gewertschätzt werden und willkommen sind.“ Die Bundesrepublik habe ihn enttäuscht.

Nachtrag:
Am 6. April sendete Souheil El Nemer dem Tagesspiegel folgende Nachricht: „Mit meiner Frau hat es endlich geklappt. Sie hat ein Visum bekommen und seit dem 22.03.2021 ist sie in Deutschland.“ Andere im Artikel vorgestellte Protagonist:innen warten dagegenimmer noch auf einen Botschafts-Termin oder die Beantwortung ihres Visumsantrags.

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