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Politik: Deutsche Grüne machen sich Gedanken, französische machen Furore - ein Ländervergleich

Vive la France: Nun reicht es den Grünen. Viele Kröten mussten sie schlucken, immer unklarer wurde, wofür sie noch stehen, das Mitregieren drohte, die Substanz der Partei aufzuzehren.

Vive la France: Nun reicht es den Grünen. Viele Kröten mussten sie schlucken, immer unklarer wurde, wofür sie noch stehen, das Mitregieren drohte, die Substanz der Partei aufzuzehren. Jetzt gehen sie in die Offensive. Wagemutig drohen sie mit dem Bruch des Regierungsbündnisses, wenn sich der Atomkurs der Koalition nicht ändere.

Diesem Aufstand gegen den roten Partner ging eine kaum noch für möglich gehaltene Wendung innerhalb der Grünen voraus. Einer trat auf gegen das brav gewordene Partei-Establishment, einer der vor niemandem Angst hat, nicht vor dem überstarken Regierungschef mit all seiner Arroganz gegenüber der Ökologie, ja nicht einmal vor den eigenen Parteifreunden. Und siehe da: Er hat damit sogar Erfolg, weil solche Gedankenfreiheit ansteckt. Ganz ist der grüne Unterstrom der Gesellschaft offenbar noch nicht ausgetrocknet.

Das zu zeigen, ist Dany Cohn-Bendit in Frankreich immerhin gelungen, auch wenn die Vernünftigen und Vernünftelnden unter Führung der Parteivorsitzenden Voynet die Mehrheit in der Partei behalten und die französischen Grünen natürlich nicht aus der Regierung Jospin ausscheiden werden.

Die grünen Probleme diesseits und jenseits den Rheins ähneln sich auf verblüffende Weise. Doch den deutschen Grünen fehlt ein Mann wie Dany Cohn-Bendit. Genauer gesagt: Sie hatten ihn ja bis vor kurzem, konnten mit ihm aber nicht mehr viel anfangen. Und an der Spitze der deutschen Grünen steht ein alter WG-Genosse von Cohn-Bendit, der aus dieser Zeit sehr genau weiß, wie die Wirkung des deutsch-französischen Wirbelwinds zu begrenzen ist.

Im Begrenzen ist Joschka Fischer im letzten Jahr ohnehin sehr stark geworden. Entsprechend gequetscht, gequotet und unfrei lassen sich die beiden Befreiungsschläge denn auch an, die an diesem Wochenende geführt werden sollen: ein Strategietreffen von älteren mittleren Funktionären in Berlin und eines von jüngeren mittleren Funktionären in Leipzig. Das Mutigste, was den grünen Erneuerern bisher gelang, war, Joschka Fischer nicht einzuladen. Er schickt stattdessen seinen jungen Nuntius Matthias Berninger. Der wird ein waches Auge darauf haben, dass nichts passiert.

Eine übertriebene Sorge. Die beiden grünen Großereignisse haben ihre Wortschatten bereits voraus geworfen. Ralf Fücks, Einlader der Älteren-Gruppe, forderte, die Grünen müssten eine "Bürgerpartei" werden. Das fordert er seit ungefähr acht Jahren. Die Berliner Spitzenkandidatin Renate Künast, die auch da sein wird, meint, man solle im Osten das Thema Arbeitslosigkeit mehr in den Vordergrund stellen, anstatt immer nur die Vergangenheit aufzuarbeiten. Das fordern die ostdeutschen Grünen von sich selbst ebenfalls seit acht Jahren. Und der gestern frisch aus Bayern eingegangene Vorschlag, man solle nicht die Partei des schlechten Umwelt-Gewissens sein, ist noch älter, fast schon ein grüner Selbstgeißelungsklassiker.

Nun muss bekanntlich nicht alles neu sein, was gut ist. Aber wenn im Vorfeld solcher Strategietreffen überwiegend Sätze gesprochen werden, die in der Partei bloß strömungsübergreifendes Nicken und außerhalb der Partei nur allgemeines Gähnen auslösen, dann mag es so scheinen, als sei der vielberedete Erneuerungsprozess der Grünen noch nicht so recht in Gang gekommen.

Das liegt vielleicht daran, dass man hierzulande den Ausweg wieder einmal auf Papier und in Strukturen sucht anstatt in Experimenten, wie etwa ein schwarz-grünes Angebot im Saarland. Oder eben wie Dany Cohn-Bendit, der die Flügel nicht unablässig "integriert", sondern fröhlich ignoriert, der durchs Land zieht und mit einer zweiten Farbe Grün malt. Den deutschen Grünen fehlt ein Dany Cohn-Bendit.

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